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Im Auftrag des Tigers

Im Auftrag des Tigers

Titel: Im Auftrag des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zahnfleisch schmerzte nicht länger. Und in den letzten Tagen hatte sie gute Beute gemacht …
    Er war groß, das ja. Aber er hatte viel Kraft verbraucht. Er wollte die Jungen. Nichts anderes. Er wollte die beiden Kleinen. Er wollte sie töten, weil er die Mutter wollte …
    Aber sie würde ihn besiegen. Zumindest würde sie ihn vertreiben. Das wußte sie.
    Sie richtete sich auf.
    Der Wasserschleier brach zusammen – und da war er wieder. Hockte. Starrte zu ihr hoch.
    Sie konnte sehen, wie die Knochen der Schulterblätter aus dem nassen Fell hervorragten. Nun der Kopf, dieser breite, düstere, gewaltige Männerschädel. Seine Augen suchten sie …
    Aus ihrer Kehle klang ein leiser, langgezogener, rollender Ton.
    Der Kleine neben ihr zuckte zusammen und sah sie ängstlich an. Sie mußte an sich halten, alle Kraft mußte sie aufbringen, um nicht ihren Zorn hinauszubrüllen, gegen das Tosen des Wasserfalls, gegen das Rauschen des Flusses, gegen das Schweigen des Waldes …
    Er will die Kleinen schlagen, weil er dich will.
    Er hat nur diese eine einzige Absicht …
    Sie hatte es einmal erlebt, vor langer, langer Zeit. Und sie war nicht geschickt genug gewesen, nicht erfahren im Kampf. Sie war zu jung gewesen. Damals jagten noch viele Tiger im Wald. Es war ihr zweiter Wurf. Drei. Zwei Mädchen und ein Junge. Sie waren sehr klein, und es kam zu schnell, so daß sie zunächst gar nicht begriff. Als sie sich zur Wehr setzte, war es schon geschehen. Der mächtige Tiger-Mann hatte ihnen wie kleinen Makakka -Affen das Genick gebrochen … Erst später begriff sie: Er hatte es getan, damit sie wieder für ihn bereit war. Nur wenn es keine Kinder mehr gab und die Milch versiegte, konnte er sie bespringen.
    Damals hatte sie sich auf ihn gestürzt und gebissen. Er hatte sie fast spielerisch abgewehrt. Sie war in den Wald geflohen.
    Dieses Mal würde es umgekehrt sein.
    Dieses Mal würde sie angreifen.
    Das Rauschen des Wasserfalles schien zu wachsen. Es hüllte sie ein, drang in ihr Herz, donnerte in ihrem Blut. Sie würde nicht länger warten. Warum? Sie saß hier am Hang. Sie hatte die bessere Position.
    Gischtschleier verhüllten den schwarzglänzenden Schatten dort unten.
    Sie fauchte die Kleinen an. Sie duckten sich erschreckt zurück. Sie erhob sich ein wenig, schlich lautlos, den Bauch an den Abhang gepreßt, die Krallen eingezogen, hinab zu der Stelle, die sie zuvor ausgespäht hatte. Eine Felsplattform. Sie hing schräg über den tosenden Wirbeln.
    Drei, vielleicht vier Meter lagen zwischen der Felskante und ihm. Keine Entfernung. Eines mußte sie nur beachten: Beim Sprung möglichst hoch hinauszukommen, um auf seinem Rücken zu landen und so ihr ganzes Gewicht einzusetzen.
    Wieder teilte sich die Wasserfahne …
    Zwei Schleier trieben über den Fluß.
    Und zwischen den sich drehenden, funkelnden Schleiern – er!
    Sie sprang.
    Sah ihn. Sah ihn während des Sprungs. Sie hatte die Dolchkrallen nun weit gestreckt. Und traf … Ihre Körper prallten zusammen, sein Geruch schlug in ihre Nase, ihre Krallenspitzen schnitten durch Fell und Fleisch. Er versuchte sich herumzuwerfen, – sie abzuwehren, da war ein Laut, ein Brüllen, nein, eine rasende Klage, wie sie sie noch nie von einem anderen Tiger vernommen hatte … Sie schlug wieder zu.
    Sie spürte, wie sich unter ihr sein Rückgrat hochspannte. Er hatte sich zur Seite gewälzt. Die linke Pranke drückte ihren Rachen weg, streifte ihre Kehle. Sie lockerte ihren Griff nicht, schlug mit den Zähnen gegen den schweren, breiten Schädel. Das Blut, all das Blut, das aus seinem rechten Auge floß!
    Und dann war er verschwunden.
    Die Hölzer drehten sich noch immer im Wasser. Nun teilten sie sich. Sie sah wie der Fluß ihn erfaßte, wie er um sich selbst kreiste, und wie eine breite, dunkelrote Spur das Wasser färbte.
    Mit einem gewaltigen Satz setzte sie ans Ufer und suchte sich dann unter dem wehenden Gischt die Steine, über die sie auf die andere Seite, zurück zu den Jungen gelangen konnte …
    »Es war sie … Glaub mir doch, Rauchpfad. Es war die Weiße …«
    Dia Lavai, den sie im Stamm ›Rauchpfad‹ nannten, weil er vor vielen Jahren während einer Überschwemmung dem Dorf mit Rauchzeichen den Weg zur Rettung gewiesen hatte, beugte sich nach vorn. Dia saß im Schneidersitz auf einem zwei Meter hohen Bambusgerüst und trieb den Drillbohrer durch ein langes Stück eisenhartes Niagang-Holz: Vier Tage Arbeit, bis endlich ein Blasrohr daraus wurde und man den Pfeil

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