Im Auftrag des Tigers
einlegen konnte.
Er sah auf den Jungen herab. Er hörte mit dem Drillen nicht auf.
»Welche Weiße, Ayat? Von welcher Weißen sprichst du? … Hör zu! Schließe erst die Augen … atme tief und sprich dann nochmals zu mir.«
Der Junge behielt die Augen offen. Er starrte ihn weiter an. Das war gegen die Sitte, zumindest bei einem Jungen wie Ayat. So sah man seinen Onkel nicht an, auch nicht, wenn man aus dem Wald kam und Wichtiges zu sagen hatte. Doch Dia verzichtete auf eine Zurechtweisung.
»Ich war ganz nah. Wirklich … Es war sie. Es war der weiße Tiger-Geist!«
Dia betrachtete den Jungen. Elend sah er aus. Gerannt mußte er sein, lange, lange gerannt. Über seine Haut lief der Schweiß. Dornen hatten sie blutig gerissen. Der Lendenschurz war zerfetzt. Den Parang, das Buschmesser, hatte er auf dem Rücken befestigt, aber auch der Halteriemen war verrutscht. Sein Mund zuckte, das Haar klebte von Schweiß und hing voller Pollen.
»Was ist mit dir, Ayat? Ich hab' dich den Fluß hinab geschickt, damit du uns sagst, ob die Company-Männer unten an der Mündung wieder aufgetaucht sind. Ob sie arbeiten. Ob Boote dort sind. Ob sie die Stämme mit blauer Farbe beschmieren oder sogar an einer Straße bauen.«
Vielleicht war es Erregung, vielleicht wollten ihn seine Beine nicht mehr tragen, der Junge setzte sich. Er zitterte. Er kratzte die rechte Schulter, zog sich die klebrigen Nian-Knospen aus den Haaren, die dort hängengeblieben waren. Er tat Dia leid.
»Neben meiner Axt steht Tee«, sagte er versöhnlich.
Der Junge trank gierig und mit weit zurückgeworfenem Kopf.
»Und wenn du auch die Weiße gesehen hättest, Ayat«, setzte Dia seine Rede fort, »wäre es ja nur gut für dich und für das Dorf. Sie ist unser guter Geist. Sie schützt uns alle. Auch dich …«
»Sie hatte zwei Junge dabei.«
Nun ließ Dia die Hände von der Drehspindel fallen. »Zwei Junge? Kleine Tiger? Das ist unmöglich.«
»Es war so, großer Vaterbruder.«
Dia vergaß die Company-Männer mit ihren Bulldozern und Booten dort unten an der Mündung.
Die Weiße? Sie war seit langem tot. Wildräuber aus Tuang hatten sie mit Gewehren erschossen. Damals lebte noch der indische Datuk oben auf der Station in Bungan. Er hatte die Weiße gekannt. Sie war seine Freundin, fast seine Tochter. Die Weiße hatte ein kleines Kästchen unter der Haut, hatte er erzählt. Und das Kästchen sagte, wo sie sich befand. Damals hatten er, seine Gehilfen, sie alle hatten die Wildräuber vertrieben. Der Datuk hatte die tote Weiße hinauf auf die Station bringen lassen. Doch schon in der Nacht darauf stand die Weiße auf dem Dorfplatz. Es war Vollmond. Jeder konnte sie sehen. Auch Lavai sah sie. Und Uan sah sie … Und Seig … Sie bezeugten es alle. Doch kein Hahn schrie, nicht einmal die Langschwanz-Äffchen, die die Kinder zum Spielen hielten, wurden unruhig. Seitdem beschützte die Weiße das Dorf.
Doch wie konnten Jungtiere bei ihr sein?
Geister haben keinen Wurf.
»Sie hat gekämpft«, sagte Ayat. »Im Wasser gekämpft, Vaterbruder. Gegen einen riesigen Tiger … Beim Wasserfall.«
Also in der Nähe … Bis zum Gebiet der Company waren es zwei Tagesfahrten im Boot. Er war vier Tage unterwegs gewesen, hatte anstrengende Tage. Am Wasserfall wollte er die Weiße gesehen haben. Vielleicht hatte er Fieber?
»Sie hat den Tiger angesprungen. Sie hat ihn gebissen, sie hat ihn geschlagen, sie hat ihn besiegt und verletzt. Ich habe sein Blut im Wasser gesehen.«
Eine Tigerin, die einen Tiger anfällt? … Doch. Manchmal tun Tigerinnen das, um ihre Jungen zu beschützen. Aber ein Geist hat keine Jungen …
»Du bist müde, Ayat. Laß dir von Sope etwas zum Essen geben.«
Der Junge zitterte noch immer vor Erschöpfung. Aber er nickte.
»Und wenn du gegessen hast, gehst du sofort zu Tara Radan und erzählst ihm alles über die Company-Männer. Vergiß die Tigerin … Die Company ist wichtig. Und Tara muß alles darüber wissen …«
Siebenhundert Kilometer von der Waldlichtung in den Highlands entfernt, in denen die Ipak -Sippe der Senois die Monsun-Zeit verbringen würde, faltete J.P. Bernier mißmutig eine Landkarte des Sultanats Jorak zusammen und schob sie zur Seite, griff erneut nach dem Plastikhefter, dem er sie entnommen hatte.
Die Karte war Mist. Na gut, aber in Jorak würde sich eine bessere auftreiben lassen. Falls er sie überhaupt brauchte …
J.P. saß im Souterrain seines Hauses in Johor Baru, in einem großen, gut klimatisierten Raum,
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