Im Auftrag des Tigers
sie nun vorbeifuhren, am ersten Wachturm, zu ihrem Vater gesagt: »Ich mach' das nicht.«
»Was machst du nicht?«
»Ihn heiraten.«
Sie saßen allein im Wagen. Sie wohnte ja schon mit ihm und seinen Tieren im Chalet oder in der Tiger-Station in den Highlands.
Sie saß neben ihm und sah prächtig aus in ihrer regenbogenfarbenen Brautaufmachung. Sie sah aus wie eine Göttin, nein, wie eine prunkvolle Theater-Puppe, und fühlte sich doch wie das Kalb, das zum Schlächter geführt wurde.
»Das ist unmöglich.«
»Vielleicht. Aber ich kann nicht.«
»Die Sharmas werden es uns nie verzeihen. Und sie sind …«
»Ja, ich weiß, die betuchtesten Leute des Sultanats.«
Sie hatte einen Blick auf die Borduhr des Wagens geworfen. »Es ist jetzt zehn vor vier, Dad. Shankar wird Punkt vier Uhr hier sein. Hab' keine Angst. Ich werde es allein tun.«
»Du weißt, was du Baba damit antust?«
Sie hatte ihn angesehen: sein schmales, konsterniertes, aufgewühltes Gesicht mit den schönen Augen, in denen der Ausdruck von Sanftmut nun Angst Platz gemacht hatte.
Sie war siebzehn. In diesem Alter weint man schnell. Sie fühlte die Tränen hochsteigen. Nicht so sehr wegen sich selber oder den anderen Familienmitgliedern, sondern wegen ihm, ihrem Vater. Sie wußte, wie er litt.
»Du hast meine Mutter geliebt, nicht?«
Er fuhr jetzt ganz langsam. »Ja.«
»Sehr?«
»Sehr.«
»Und du hast diese Liebe durchgesetzt, obwohl sie Malaiin war.«
Er schwieg. Es war so …
Der Wagen hielt. Er wandte den Kopf, und in seinen Augen las sie, daß er ahnte, was nun kommen würde, und daß sein Verstand dagegen ankämpfte, weil er es für abwegig, für zu ungeheuerlich hielt.
»Ich weiß«, hatte sie gesagt und sie erinnerte sich noch an jedes dieser Worte, an jedes einzelne. »Ich weiß, daß bei uns die Töchter genauso zu gehorchen haben wie später die Frauen. Und daß ich unser ganzes Leben, unsere Glückserwartung, das Glück selbst, nur um ein Thema zu drehen hat: Wie stelle ich meinen Mann zufrieden?«
»Hör zu …«
»Nein. Hör du zu. Ich akzeptiere es nicht. Ich kann nicht. Die Zeiten haben sich geändert, Dad. Du weißt es. Und mit den Zeiten die Gefühle …«
»Maya, um Himmels willen, hör auf!«
»Oh, nein.«
»Du wirst nicht …«
»Doch, ich werde. Ich muß, Dad. Versteh doch, ich möchte den Mann, den ich einmal heirate, genauso lieben wie du meine Mutter geliebt hast. Das ist mein Recht. Auch wenn es schiefgehen sollte, es bleibt trotzdem mein Recht.«
»Aber du bist versprochen.«
»Baba hat mich versprochen. Nicht ich.«
»Bitte, Maya …« Es klang ganz leise und schrecklich hilflos: »Dieser Skandal. Die Gäste warten. Er hat ein Vermögen ausgegeben. Du weißt das alles.«
»Natürlich.«
»Was willst du tun?«
»Ich steige jetzt aus.«
»Maya! Du kannst doch nicht hier verschwinden, du kannst doch nicht fliehen!«
»Ich denke nicht daran, zu fliehen. Ich steige aus und gehe den ganzen Weg bis zum Eingang.«
»In diesem Aufzug?«
»In meinem Brautkleid. Dann gehe ich zu Baba und werde ihm sagen, daß ich es nicht kann.«
Sie ging den Weg. Und er war lang …
Im Hof standen ihre Freundinnen, standen Gäste, die sich hier zu Hause fühlten. Sie alle kamen auf sie zu. Dann blieben sie stehen. Sie sahen wohl, daß irgend etwas nicht stimmte. Es war ein Spießrutenlaufen. Schon jetzt.
Auf der Terrasse stand er, Baba, Sulei Nandi, und hob den Stock zum Gruß.
Sie sagte es ihm. Dann rannte sie, rannte durchs Tor, sah den Chrysanthemengeschmückten Wagen ihres Vaters heranrollen. Da war eine Tür, die sich öffnete, eine Stimme, die sagte: »Steig ein.«
Es war dasselbe Tor, das sie nun mit Geeti passierte …
Sein Hörvermögen hatte in letzter Zeit nachgelassen und so hatte er bei diesem Telefonat den Lautsprecher eingeschaltet, was überdies den Vorteil brachte, daß er seinen Tee in Ruhe weitertrinken konnte. Sidh schrieb ohnehin alles mit. Und wieso sollte Sidh bei diesem Gespräch nicht im Arbeitszimmer bleiben? Sidh war so verschwiegen, so brauchbar und so zuverlässig wie der alte Teakholz-Schreibtisch, an dem er saß.
Doch Sulei Nandi brauchte Sidhs Notizen gar nicht. Das Gespräch dauerte genau sieben Minuten und zehn Sekunden. Er hatte es mit der Uhr kontrolliert. Und die Sätze, die Wang Fu dort im fernen Singapur in seinem protzigen Silver Tower ins Telefon flüsterte, blieben haften. Jeder. Einer wie der andere.
Und vor allem die letzten.
Maya war also in Singapur gewesen? Sie
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