Im Auftrag des Tigers
aufgeregt war.
»Wer spricht da?«
»Ich sagte doch schon, Maya.«
»Maya? … Also doch? Ich konnte das gar nicht glauben. Maya! Das ist … das ist … Von wo rufst du denn an? Wo treibst du dich zur Zeit wieder rum? In New York? Oder Los Angeles?«
»Ich sitze im Café-Shop.«
Pause. Schweigen. Dann: »In welchem?«
»In Wang Sengs Café-Shop am Market Place.«
»Das heißt, das heißt, daß du …«
»Das heißt, daß ich hier bin und dich sehen möchte. Und Großmutter auch. Euch alle.«
»Maya … Aber …«
»Was aber?«
»Mein Gott, Maya, du weißt doch …«
»Geeti! Nun verlier nicht die Nerven, Kleines. Ich trete weder Türen ein, noch bring' ich jemanden um … Ich dachte, es wäre vielleicht gut, wenn wir uns treffen und alles erst mal besprechen. Oder ist das zuviel verlangt?«
»Mein Gott, Maya, ich freu' mich doch. Ich freu' mich doch wirklich. Und ich will dich ja auch sehen. – Sofort, Maya. Aber …«
»Was aber?«
»Das mit dem Café-Shop geht nicht.«
»Wie bitte?«
»Ich kann doch nicht ins Wang Seng gehen! Dazu noch jetzt, um fünf. Das ist ausgeschlossen.«
»Wieso nicht?«
Geeti räusperte sich nervös: »Maya, du weißt doch, daß ich geheiratet habe?«
»Ja. Ich hab' dir schließlich gratuliert, nicht?«
»Ach ja … Weißt du schon, daß ich einen Jungen habe?«
»Nein. Das freut mich sehr. Doch was ist mit dem Café-Shop?«
»Das wirst du gleich verstehen, Maya. Besir, mein Mann, arbeitet im Ministerium. Er ist Departement-Chef. Seine Angestellten gehen immer ins Wang Seng. Vor allem jetzt um fünf. Du weißt doch, wie das hier ist: Ich, als Frau des Chefs, kann ja nicht …«
»Verstehe«, sagte sie und blickte in den dämmrigen Raum. Fast alle Tische waren leer. In der Ecke saßen zwei Männer und lasen Zeitung. Der Kellner brachte gerade Kaffee. Sie dachte: Es hat sich also tatsächlich nichts geändert. Geeti vor allem hat sich nicht geändert …
»Wo dann?«
»Was sagst du?«
Ihre Schwester lachte nervös. »Maya, mit dir zu reden … es ist so … weißt du, ich bin völlig durcheinander … Warum hast du bloß nicht ein Telegramm geschickt? Oder angerufen?«
»Wo, Geeti? Wo treffen wir uns?«
»Sagen wir doch im Jorak Palace. Das ist gar nicht weit vom Café-Shop. Datuk Ibraim-Street … Du kennst es doch. Sie haben es jetzt umgebaut. Gehört zu Hyatts. Ist wirklich hübsch. In der Halle, Maya, ja? Ist dir das recht? Sei mir doch nicht böse … Bitte, Maya, du mußt doch verstehen …«
»Ich verstehe alles«, sagte Maya mit der letzten Aufbietung an Beherrschung. »In zehn Minuten, Geeti.«
»Ja, natürlich, in zehn Minuten. Es könnte vielleicht ein wenig länger dauern … Ich muß mich doch noch richten.«
»Dann richte dich schnell. In zehn Minuten, Geeti.«
»Ja, Maya …«
Maya zahlte das Taxi und warf einen kurzen Blick über die Straße auf die graue, verwitterte Museumsfassade. Dort drinnen war sie ihrem ersten Tiger begegnet. Eigentlich waren es zwei gewesen, ausgestopft alle beide. Sie standen in der Halle, gleich neben dem großen Raum, in dem man die Kopien der Kron -Insignien der Sultane von Jorak bestaunen durfte. Und dort mußten sie auch stehen. Denn es war der ›Tigergeist‹, der die Herrschaft der Sultane von Jorak beschützte.
Ihre Reisetasche in der Hand durchquerte sie die Hotelhalle und ließ sich den Waschraum zeigen. Sie schloß die Tür ab und betrachtete sich im Spiegel. Sie lebte in Frieden mit ihrem Gesicht, heute aber hatte sie Probleme: Schatten zogen sich unter den Augen, feine Kerben schnitten von der Nase zum Kinn. Es war nicht die Erschöpfung. Es war weder Singapur noch KL. Es lag an etwas anderem: An dieser Gefühlsmischung von Unsicherheit und Zweifel, die sie überfallen hatte, eine lähmende, lastende Unsicherheit, die sie seit langem zum ersten Mal wieder fühlte.
Warum nur war sie nicht sofort hinauf in die Berge zur Station gefahren? Wieso nur mutete sie sich diesen Nandi-Zirkus zu?
Sie streifte ihre Reise-Shorts vom Leib und wechselte die Wäsche.
Dann suchte sie sich einen hellen Rock und die dunkelblaue, weißgepunktete Bluse aus der Tasche. Gott sei Dank, beide wirkten noch einigermaßen gebügelt. Sie zog Bluse und Rock an und betrachtete sich erneut im Spiegel.
Baba, Sulei Nandi, der ›Alte‹. Vielleicht bekommt er einen Schlaganfall, wenn ich auftauche? Oh nein, er ist zäh. Er wird ewig leben …
Sie nahm ihre Schminksachen und begann, die Augen mit Lidstrichen zu vergrößern. Sie
Weitere Kostenlose Bücher