Im Auftrag des Tigers
Stimme.
»Geh! Geh sofort … Verlasse dieses Haus.«
Vor zehn Jahren hatte sie genau denselben Satz vernommen …
»Herrgott, Maya! Wir waren uns einig, daß du, wenn es irgendwie geht, jeden Tag um sieben anrufst.«
»Richtig. Wenn es irgendwie geht. Es ging nun mal nicht.«
»Du bist seit gestern in Kualang. Gibt's dort nicht genug Telefone? Was soll das?«
So sehr hatte sie sich auf Rick Martins Stimme gefreut, hatte sie richtiggehend herbeigesehnt – und nun? Nun hing er den Chef heraus, den EIA-Campaigner, der in der Zentrale an den Fäden zieht, damit die Puppen nicht aus der Reihe tanzen.
Ja, sie hatte mit dem Namen Rick eine ganz andere Erwartung verbunden. Welche genau, sie wußte es nicht mehr …
»Bist du bei deiner Familie?«
»Meine Familie?« Sie wiederholte das Wort mit Mühe und versuchte dann in drei Sätzen zu berichten, was geschehen war. Erklären konnte sie es ohnehin nicht. Er würde nie begreifen.
»Und wo steckst du jetzt?«
»Wieso willst du das eigentlich alles wissen? Was glaubst du, was das Gespräch kostet?«
»Das war ein Lockruf.«
»Na gut. Und wenn schon.« Sie wußte nicht, warum ihr seine Stimme, die Worte so sehr auf die Nerven gingen. Wahrscheinlich, weil sie auf Hilfe wartete, auf irgendeinen Satz von ihm, der ihr gut tat … Aber er saß in seinem verdammten Büro und hatte womöglich den Laden voller Leute.
Außerdem: Was sollte er schon sagen? Hatte sie ihm seit Porto Colom nur ein einziges Mal zu verstehen gegeben, daß sie mit seinem Namen so etwas wie Wärme oder Zuneigung verband? Oder – sicher kaum vorstellbar für ihn – darauf angewiesen war? Und dabei liebte er sie doch, sie wußte es …
Da war sie wieder, diese sachliche, kühle Chef-Stimme, so nah, so unglaublich nah, und doch so fremd und fern.
»Ich hab' dich was gefragt.«
»Ja«, sagte sie wütend, »wo ich stecke.«
»Richtig.«
Sie sah sich um. An den Wänden hingen Kupfer-, Messing- und Holzarbeiten, dazu kunstvoll geflochtene Rattan-Teppiche und drei der wilden Geistermasken, die die Senois bei ihren Initions-Weihen benutzten: riesige, blutrote, schauerliche Fratzen.
»Im Bazar«, sagte sie.
»Im Bazar?«
»Im malaiischen Bazar. Warum denn nicht?«
»Wie kommst du auf die Idee, aus dem Bazar …«
»Du machst mich wahnsinnig, Rick. Wie oft, verdammt noch mal, soll ich dir noch sagen, daß ich mir bei meinem Job nicht vorschreiben lasse, wie ich mich zu verhalten habe? Das entscheide ich schon selbst. Und zwar vor Ort. Ich finde diese Tonart völlig deplaziert.«
»Tut mir leid … Du weißt doch, welch ein Idiot ich bin, Maya. Und das vor allem bei dir.«
Seine Stimme klang mit einem Mal leise, friedlich, die Worte kamen zögernd wie bei einem unsicheren Jungen: »Du hast vollkommen recht. Aber hier nur rumzuhängen, zu warten bis eine Nachricht kommt und sich Sorgen zu machen, ist einfach die Hölle. Es vergeht kaum eine Minute, ohne daß ich an dich denken muß.«
Das klang schon besser.
»Was hast du als nächstes vor?«
»Ich gehe rauf zur Station. Nach Taong.«
»Ist das sehr weit weg von Kualang?«
»Es geht. Nur ziemlich unbequem.«
»Könntest du nicht bis zum Ende der Woche warten?«
»Warten? Wieso?«
»Weil, weil …«, druckste er herum.
»Weil was?«
»Weil ich einen Flug gebucht habe. – Ich fliege Freitag.«
Sie hatte es geahnt, sie hatte es sich gewünscht, und nun konnte sie es nicht glauben. Deshalb fragte sie: »Wohin?«
»Nach Kualang«, sagte Rick Martin.
Tatsächlich.
Achmed Kani saß auf seinem Hocker an der Kasse und schob den Song Kok, die traditionelle schwarze, runde Kappe der Malaien hin und her. Rund war auch der Schädel Achmeds: rund und schimmernd wie eine polierte Holzkugel. Auf dem gleichfalls kreisförmigen Gesicht lag ein ewig freundliches Lächeln. In Mayas Erinnerung war ihr Onkel stets guter Laune gewesen, hatte etwas gehabt von einem guten, kleinen, ewig grinsenden und kichernden Kobold.
Und nun stand sie ihm endlich wieder gegenüber.
»Die Nandis?« hatte er gesagt, den Kopf geschüttelt und gelacht: »Ah ja, die Nandis! Es gab nur einen unter ihnen, der ein Mensch war. Das war dein Vater. Und der ist tot. Aber die anderen … Sie ersticken an ihrem Hochmut. Und sie ersticken an ihrem Geld wie in ihrer eigenen Scheiße …«
»Kannst du mir vielleicht für heute ein Hotel besorgen, Onkel Achmed? Ein Hotel, in dem man mich nicht kennt.«
»Ein Hotel? Bei mir kannst du bleiben, so lange du willst, meine Taube. Unser
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