Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
zu erscheinen, damit wir euch dann zügig in den Sklavenbereich überstellen können.«
14
»Der Anführer der Elefantenkarawane hat eingewilligt, dich und deine beiden Gefährten bis Ugarit mitzunehmen.«
»Halla!
Welch gute Nachricht!«, sagte Leah. »Der Segen der Götter sei mit dir, Pakih. Weiß man denn schon Genaueres über Pharao Thutmosis und seinen Feldzug nach Karmel?« Zwanzig Tage war es her, dass sie und David sich auf dem Dach des Palastes geliebt hatten, zwanzig lange Tage der Ungewissheit, seit er sie zum Abschied geküsst hatte und dann in die Schlacht gezogen war. »Ich habe aus Nordwesten Kundschafter kommen gesehen. Was weißt du darüber?«
»Noch nichts, Herrin, aber solange keine schlechten Nachrichten eintreffen, sind das doch gute Nachrichten, findest du nicht?«
Wie Leah festgestellt hatte, waren in jedem Palast die Eunuchen des Harems die zuverlässigste Quelle für Informationen, Neuigkeiten, Gerüchte und Klatsch. Pakih stammte aus Afrika und war der Erste seiner Art, dem Leah begegnet war. Bis dahin hatte sie nicht gewusst, dass die Haut eines Menschen derart schwarz sein konnte. Pakih war hochgewachsen und dickbäuchig. Er trug einen bunten Turban und einen langen weißen Rock, der um den Bund von einem breiten Ledergürtel gehalten wurde. Statt eines Hemds oder einer Tunika waren die kräftigen Schultern mit einem eigenartigen Schal aus weißer Wolle bedeckt, der vorne geknotet war und ihm über die schwabbeligen Brüste hing.
Pakih erinnerte sich nicht an den Namen seines Volkes oder an das Land, in dem er geboren worden war. Ägyptische Händler für exotische Tiere, Elfenbein und Sklaven hatten ihn im Kindesalter am Oberlauf des Nils entführt und per Schiff und über Land nach Beersheba gebracht. Dort war Pakih zusammen mit weiteren entführten Knaben kastriert worden, um fortan Haremsdienste zu versehen. Nicht dass er sein Leben oder sein Schicksal verfluchte. Er verfluchte einzig und allein alle Ägypter.
Vor allem hasste er die Ägypterinnen im königlichen Harem von Megiddo – die Ehefrauen und Konkubinen von Pharao Thutmosis. Arrogante Weiber, die einfach eingezogen waren und sich jetzt groß aufspielten, die ihre eigenen Eunuchen mitgebracht und damit eine seit langem bestehende Hierarchie durchbrochen hatten. Deshalb war Pakih, der einst etwas zu sagen gehabt hatte und jetzt ein Kuli war, nur allzu gern bereit, Thutmosis eins auszuwischen, selbst wenn es nur darum ging, einer Geisel zur Flucht zu verhelfen. »Die Karawane soll am Tage des Mittsommerfests aufbrechen.«
Wie alle weisen Heeresführer war Thutmosis darauf bedacht, Handelskarawanen ungeachtet ihrer nationalen Zugehörigkeit weiterhin den ungehinderten Durchzug durch das von ihm eroberte Territorium zuzusichern. Schließlich drang er in dieses Land ein, um dessen Reichtümer abzuschöpfen. Wenn er den Handelsverkehr behinderte, flossen weder Waren noch Geld. Da infolgedessen Karawanen als neutral betrachtet und dementsprechend von seinen Truppen nicht belästigt wurden, sah Leah eine Chance, auf diese Weise zu entkommen. Es drängte sie nach Hause, sie wollte zu ihrer Familie, wollte sie aus der Sklaverei erlösen und sie wieder in der Villa bei den Weingärten vereinen. Wenn aber David bis dahin nicht zurück war? Ohne ihn wollte sie nicht aufbrechen.
Bei ihrem Abschied vor zwanzig Tagen hatte er seinen Siegelring abgestreift und ihn ihr in die Hand gedrückt. »Solange sich dieser Ring in deinem Besitz befindet«, hatte er gesagt, »werde ich immer zu dir zurückkommen.« Diesen Ring hielt sie fest in der Hand, als sie jetzt ans Fenster trat, das den Blick über die Mauern der Stadt freigab.
Der Harem war in einem für sich stehenden hohen Turm untergebracht, von dem aus die darin lebenden Frauen freie Sicht auf die für sie unerreichbare Welt hatten. Man sah die Baumstümpfe, die Megiddo umgaben – die Wälder waren abgeholzt worden, weil man Brennmaterial für die unzähligen Lagerfeuer benötigte –, und jenseits davon erstreckte sich Marschland mit einem Bergbach, der sich in kleine Flüsse verzweigte, die alle dem großen Fluss zuströmten. An den Ausläufern ockerfarbener Berge waren zwei riesige Lager errichtet worden – eins für die Soldaten, eins für die Gefangenen.
Durch ein Fenster in diesem Turm konnte Leah das große Militärlager überblicken, an dessen Rand sich einheimische Kanaaniterinnen, die ihre Männer und ihr Zuhause verloren hatten, niedergelassen und sich mit ihren
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