Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
hatte, würden Ugarits Schiffe nicht trotzen können.
»Wie du dich persönlich überzeugen kannst, Prinz von Lagasch, gibt es kein Land der Welt, das über eine derartige Kriegsmarine verfügt«, brüstete sich Thutmosis. »Nicht einmal die Seevölker von Minos und Mykene. Siehst du, wie die Ruderer geschützt sind? Ihre Pfeilspitzen sind mit Pech bestrichen, das in Brand gesteckt wird. Wir sind also in der Lage, Feuersalven abzugeben, ohne dass meine Besatzung von den Pfeilen des Gegners getroffen wird.«
Die Folgen waren absehbar. Als Erstes würden sämtliche Schiffe in Ugarits Hafen in Flammen aufgehen. Dann flögen die brennenden Pfeile auf die vielen Holzhäuser am Hafen. Das Feuer würde sich, allein schon angesichts der sommerlichen Hitze und zusätzlich beschleunigt durch den vornehmlich auflandigen Wind, über die ganze Stadt ausbreiten. Ugarit könnte zwar Schiffe zur Verteidigung auslaufen lassen, aber aufgrund der Anzahl der Ruder, der besonderen Abschirmung, der zusätzlichen Takelage und des ausladenden Steuerruders, für dessen Handhabung vier Männer vorgesehen waren, konnte sich David vorstellen, wie schnell, wie unschlagbar die ägyptischen Schiffe sein würden. Die Schlacht wäre gewonnen, noch ehe es zu einem richtigen Kampf kam. Der Sieg Ägyptens stand von vornherein fest, genauso wie die totale Vernichtung Ugarits.
David dachte an die Waffen, die in Jothams Werk hergestellt wurden. Sie waren ein Beweis dafür, dass sich in Strategie und Taktik der Kriegsführung eine Veränderung vollzog. Sollte also der Konflikt zwischen Ägypten und den Städten Kanaans in vollem Umfang ausbrechen, würde sich die Landkarte der Welt und ihrer Bevölkerung für immer verschieben.
Jetzt verstand er, warum Thutmosis ihn auf diesen Feldzug mitgenommen hatte: um ihm Ägyptens Macht vor Augen zu führen. »Ich verspreche dir, Großer König«, sagte er, »dass ich, sobald ich nach Ugarit zurückkehre, König Shalaaman von der Überlegenheit Ägyptens unterrichten werde, von der ich mich ja persönlich überzeugen konnte.«
Thutmosis lachte. »Auch ich möchte, dass du, Prinz David, deinen König und deinen Vater in
Lagasch über die ägyptische Macht informierst. Und zwar
schriftlich,
nicht mündlich, denn du bist jetzt eine meiner wertvollsten Geiseln, und du wirst auch dann noch bei mir sein, wenn ich in Babylon einmarschiere.«
15
Heute, am Tag des Mittsommerfests, hatte Avigail mit viel Mühe und großem Einsatz endlich einen Termin vor Gericht eingeräumt bekommen. In zehn Tagen sollte sie ihren Fall den Richtern vortragen, und die würden dann entweder zu ihren oder Ziras Gunsten entscheiden.
Jetzt, da sie sich auf dem Heimweg befand, bereitete Avigail der Gedanken Unbehagen, dass der Justizbeamte sie bei der nochmaligen Prüfung des Vorgangs aufgefordert hatte, zu dem Gerichtstermin mit ihrer gesamten Familie zu erscheinen. Einen Grund dafür hatte er nicht genannt, aber Avigail wusste ohnehin, dass man sie, falls Zira gewann, gleich darauf allesamt von den Wachen festnehmen und zum Sklavenmarkt bringen würde, schon um dem vor Gericht Unterlegenen keine Gelegenheit zur Flucht zu bieten.
Obwohl Zira ihr vorgeworfen hatte, sie versuche, den unvermeidlichen Verkauf in die Sklaverei zu verzögern beziehungsweise abzuwehren, war Jothams Schwester überraschenderweise diejenige gewesen, die sich, nachdem Avigail ihren Rechtsanspruch auf Anhörung vor Gericht eingefordert hatte, mit der Einreichung ihrer Klage Zeit gelassen hatte. Avigail vermutete, dass dies mit den Gerüchten um König Shalaamans angegriffene Gesundheit zu tun hatte. Wahrscheinlich hoffte Zira auf sein Ableben, noch ehe sie Avigail vor Gericht gegenübertreten musste, denn dann würde Yehuda bereits zum neuen König gewählt sein und per Gesetz das Recht haben, jedwedes richterliche Urteil zu verwerfen.
Jetzt aber war der Gerichtstermin in zehn Tagen eine beschlossene Sache, und dann lag das Schicksal von Avigail und ihrer Familie in den Händen der Götter.
Oder in denen korrupter Richter, sagte sie sich, als sie sich dem Tor ihrer Villa näherte und sich nochmals ins Gedächtnis rief, was ihr der Anwalt Faris in Hathors Lustgarten offenbart hatte – dass Yehuda geheime, ehrenrührige Informationen über Uriah, den Obersten Richter, besaß. Aber darauf wollte sie erst zu sprechen kommen, wenn alle anderen Argumente ausgeschöpft waren. Erst einmal galt es, ihre Familie aus allem herauszuhalten, vor allem Baruch und Aaron, die
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