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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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heimlichster Wunsch in Erfüllung ging: dass aus Damaska kein Ehemann kommen würde.
    Ein ungehöriger Wunsch, gewiss, aber der Ungehorsam, der damit einherging, war so geringfügig, dass Asherah bestimmt nachsichtig sein würde. Und es war ja kein ausdrücklicher Wunsch oder ein Gebet – Leah würde doch nie die Götter bitten, die Verwandte in Damaska davon abzuhalten, einen Ehemann zu schicken! –, sondern eher ein wunderschönes Hirngespinst, ein Gedankenspiel, dem sie sich hingab, wenn sie im Bett lag, eingehüllt in den matten Schein der Öllampen, die die bösen Geister abschrecken sollten – ein Jungmädchentraum, dass ein gutaussehender, glutäugiger Prinz aus Lagasch, der unter ihrem Dach wohnte und ihrem Vater zu Diensten war, sich in sie verliebte und sie am Ende seines Lehrjahrs bat, ihn zu heiraten. Sie wusste um seinen Ehrgeiz, der Bruderschaft beizutreten, und dass Schriftgelehrte Mitglieder sein konnten, ohne im Haus des Goldes zu leben. Und dass sie heiraten durften. David würde ein Haus im gediegeneren Teil der Stadt finden und sein Schild aushängen wie andere fachlich Versierte auch; er würde für wohlhabende Kunden Briefe schreiben, Verträge aufsetzen, Eheschließungen bezeugen, Vereinbarungen über Grundstücksgeschäfte schriftlich festhalten. Leah würde sich als seine Ehefrau um das Haus kümmern, sie würde für ihn sorgen und ihm viele Kinder schenken. Nein, das war kein ungehöriger Gedanke, lediglich ein Traum …
    Und doch konnte sie, als sie auf das Dach trat und ihn dort im Mondlicht stehen sah und ihre Kehle vor Verlangen wie zugeschnürt war, ihr ganz warm ums Herz wurde und sie glaubte, vor Sehnsucht nach ihm zu vergehen – konnte sie nicht anders, als ungehorsam zu beten: Bitte, lass keinen Ehemann aus Damaska kommen.
    Der Anblick, der sich ihr jetzt bot, war so überwältigend, dass er ihr den Atem raubte und ihrem Gefühl nach obendrein ihr Herz.
    David sah nicht zu den Sternen empor. Nur mit einem Lendenschurz bekleidet, absolvierte er ein seltsames wie kräfteraubendes Programm. Leah sah, wie er aufsprang und sich gleich darauf duckte, wieder aufsprang und sich duckte, aufsprang und sich blitzschnell umwandte. Sein geschmeidiger Körper glänzte schweißnass. Muskeln spannten und entspannten sich in fließender Abfolge und unglaublicher Eleganz. Er spurtete über das Dach, federte herum, bewegte blitzschnell die Arme in der Luft, so als schleuderte er imaginäre Waffen. Er tänzelte seitwärts, duckte sich, wand sich, rollte sich auf dem Boden ab und sprang auf, als kämpfte er gegen einen unsichtbaren Gegner.
    Außer Rand und Band schien er zu sein, aber dennoch beherrscht. Leah meinte, noch nie etwas derart Erregendes, etwas derart Anmutiges gesehen zu haben.
    Als er sie bemerkte, brach er seine Übung auf der Stelle ab. Schwer atmend sah er sie an.
    »Verzeih«, flüsterte sie. »Ich störe dich.«
    Er rang nach Luft und konnte den Blick nicht von ihr losreißen. Wie sie da im Mondlicht stand, Gewand und Schleier in Blassrosa, der Farbe von Sonnenauf- und Sonnenuntergängen, seinen Lieblingszeiten. Sie erinnerte ihn an kunstvoll bearbeitete Zypressen, gertenschlank, wie sie war, und irgendwie geheimnisvoll. Seit wann empfinde ich so?, überlegte er und spürte, wie Verlangen in ihm hochstieg. Seit wann sah er in ihr mehr als die Tochter seines Dienstherrn? Wenn er sich in Gedanken ganz auf die Aufnahme in die Bruderschaft konzentrierte, konnte es geschehen, dass er gleich darauf an nichts anderes als an Leah dachte.
    Es hat sich langsam eingeschlichen, sagte er sich, dieses Hingezogensein zu ihr, so allmählich und unauffällig, dass er nicht wahrgenommen hatte, was in seinem Herzen heranwuchs und schließlich voll erblüht war. Seither verschaffte Leah ihm schlaflose Nächte und unruhige Tage. Sie spaltete seinen Verstand und seine Hingabe, hatte sich jetzt neben der Bruderschaft in seinem Leben eingenistet. Was genau aber war es, was ihn übermannt hatte? Was empfand er für Leah? Warum fühlte er sich zu ihr hingezogen? War es Neugier? Brüderliche Zuneigung? Diese Fragen raubten ihm den Schlaf, weil er versuchte, diese für ihn so ungewohnten und schwer festzumachenden Gefühlsregungen zu ergründen, sie zu erforschen und zu verstehen, um sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden.
    »Du störst doch nicht«, erwiderte er und griff nach seinem Umhang, um seine Schultern zu bedecken. »Das hier ist eine nächtliche Übung, die ich durchführe, um in Form zu

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