Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
erstarrte. Leah, die sich mit ihrer Mutter und Tante Rakel oben aufhielt, hielt inne und lauschte. Elias warf einen Blick über den Balkon.
War doch noch jemand gekommen?
Der Verwalter öffnete das Tor und glotzte erstaunt auf die Menge, die sich davor eingefunden hatte: elegant gekleidete Männer und Frauen, die, begleitet von Sklaven, die Fackeln und Geschenke trugen, in Sänften, zu Pferd und in Wagen den Weg hierher zurückgelegt hatten.
Shalaam!,
hörte man es rufen, gefolgt von traditionellen Hochzeitswünschen.
»Sie sind eingetroffen, Herrin«, konnte der Verwalter, als er Avigail im Garten aufsuchte, nur noch fassungslos stammeln. »Es dürften Hunderte sein!«
Sie strömten herein, wurden von Avigail und Elias begrüßt und zu ihren Plätzen geleitet – festlich aufgeputzte Männer und Frauen, deren Goldschmuck im Licht der Lampen funkelte. Da sich alle untereinander kannten, hob munteres Plaudern in Vorfreude auf das Festmahl an.
Anmutig lächelnd nahm Avigail die Weihrauchkugeln entgegen, die viele der Gäste mitgebracht hatten, dann zündete sie in jedem Raum das Gummiharz an, dessen parfümierter Rauch sich im ganzen Haus ausbreiten sollte, um die bösen Geister von der Trauungszeremonie fernzuhalten.
Als alle Platz genommen hatten, kam Leah, begleitet von ihrer Mutter und Rakel, zu den Klängen von Zimbeln und eingehüllt in Schwaden von Weihrauch in einer feierlichen Prozession, in der Erregung und Freude mitschwang, die Treppe herunter. Sie trug ein kunstvoll besticktes Gewand aus mehreren farblich aufeinander abgestimmten Lagen; ihre Hände und das Gesicht waren mit schützenden Symbolen aus Henna verziert, und um ihren Hals hingen nicht nur verschiedene Amulette, die Ugarits Götter symbolisierten, sondern auch Glücksbringer und ein kleiner, mit Kräutern gefüllter Beutel zur Abwehr von Dämonen, denen man Eifersucht auf Liebende nachsagte.
Aus einer Nebentür traten jetzt Caleb, David und Elias. Sie hielten vor dem Baldachin inne, unter dem zwei zu Thronen umdekorierte Stühle standen. Elias hob die Arme und rief: »Gepriesen seien die Götter von Kanaan, denn sie sind heute Abend zugegen! Bewahrt die Namen von Asherah und Baal und Dagon auf euren Lippen, auf dass sie diese Verbindung segnen und beschützen.« Dann forderte er das Brautpaar auf, unter den Baldachin zu treten, wo sie ihre Gelöbnisse sprachen, worauf Elias ihre Handgelenke mit einem lockeren Knoten aus Hanf zusammenband und verkündete, dass sie nun miteinander verheiratet seien. David, der in der Nähe saß, hielt das Geschehen auf Ton fest.
Die Gäste brachen in Hochrufe aus. Caleb und Leah nahmen auf den Thronen Platz. Elias gab den Musikanten das Zeichen, mit ihrem Spiel zu beginnen, während Avigail den Obersten Verwalter anwies, das Festmahl auftragen zu lassen.
Hannah nahm mit einem stolzen und zugleich erleichterten Lächeln am Familientisch Platz. Ihre Tochter war nicht länger Bat Elias, sondern Isha Caleb. Mit dem Zutun der Götter würde sie vor Ablauf eines Jahres Em Yosia oder Em Avran heißen und ihr Status gesichert sein. (Und vielleicht werden die Götter auch mir noch einen Sohn für meinen geliebten Elias schenken, hoffte sie.) Tamar, die neben ihrer Mutter saß, ließ Leah, die wie eine Königin unter dem Baldachin thronte, nicht aus den Augen. Sie dachte an Baruch, den jungen Mann, den sie wegen Leah verloren hatte, sie dachte an die »bescheidene« Hochzeit, mit der sie selbst sich abfinden sollte, sie dachte daran, wie viel Ungerechtigkeit in der Welt herrschte. Dunkle Entschlossenheit überkam sie, ihren neuerlichen Vorsatz in die Tat umzusetzen – Caleb zu verführen.
Von ihrem Thron aus, unter einem mit Münzen überladenen Kopfputz – dem Hochzeitsgeschenk ihres Vaters – und auch ansonsten mit reichem Schmuck behängt, ließ Leah die Feier wie betäubt über sich ergehen. Sie hatte mit dem Ausbleiben jeglicher Gäste gerechnet und konnte es jetzt nicht fassen, dass mehr oder weniger die gesamte Crème der Gesellschaft erschienen und sie nun mit dem Mann verheiratet war, der schweigend neben ihr saß und ihr noch immer fremd war.
Caleb dagegen war hellwach. Er zwang sich, unablässig zu lächeln, während er die kostbaren Gewänder musterte, die Juwelen, das Gold und Silber. Für die Familie seiner Braut hatte er nur Verachtung übrig. Alle waren sie gutherzig und schwach und obendrein dumm. Überall hatte sich herumgesprochen, dass in der Hafengegend ein reicher Mann, der nicht aus
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