Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
einzutragen und seine Absicht kundzutun, in einem Jahr als Mitglied aufgenommen zu werden.
Diesmal musste er bescheidener auftreten.
Nachdem es ihm nicht gelungen war, einen Fürsprecher aufzutreiben, hatte er beschlossen, sich direkt an die Bruderschaft zu wenden, sich ihrer Gnade anzuvertrauen, seine Situation und die besonderen Umstände darzulegen und um Verzicht auf einen Bürgen zu bitten. Bestimmt würde ihm Verständnis entgegengebracht werden, immerhin war dies doch eine Bruderschaft.
»Meister«, quengelte Nobu neben ihm, »was wird eigentlich dann aus mir?«
Bis nach Lagasch und darüber hinaus war die Bruderschaft in Ugarit bekannt für ihre karge Lebensweise und ihre strengen Vorschriften in Sachen Abstinenz und Mäßigung. Vor allem im ersten Jahr, dem Noviziat, in dem zusätzlich Keuschheit verlangt wurde. Da David bezweifelte, dass man ihm gestatten würde, einen persönlichen Sklaven mitzubringen, wandte er sich an seinen Gefährten, dessen Augen unter den schweren Lidern leicht blinzelten, legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm und sagte: »Keine Sorge, alter Freund, ich werde schon etwas für dich finden. Du weißt ja selbst, dass die Brüder kein Fleisch essen, keinen Wein trinken und großen Wert auf ein keusches Leben legen. So viel Selbstverleugnung würde dich nicht glücklich machen. Vielleicht kann ich es einrichten, dass du bei Elias bleibst und er dich im Haushalt beschäftigt.« Wenn David sich einzureden versuchte, dass er dabei nur das Wohl seines Gefährten im Auge hatte, musste er ehrlicherweise zugeben, dass ihm diese Regelung als Vorwand dienen konnte, dem Haus seines früheren Dienstherrn von Zeit zu Zeit einen Besuch abzustatten, um nicht nur seinen alten Freund Nobu wiederzusehen, sondern sich auch nach Leah zu erkundigen oder ihr sogar über den Weg zu laufen, sich davon zu überzeugen, dass es ihr gutging …
»Geh jetzt nach Hause, Nobu. Diese Sache hier muss ich allein hinter mich bringen. Wahrscheinlich bin ich erst spät zurück, weil es vermutlich mit meinen Brüdern hier viel zu besprechen gibt.«
Er sah Nobu hinterher, sah, wie er sich langsam und schildkrötengleich entfernte und vor sich hin murmelnd den Götterstimmen antwortete. Wahrscheinlich würde ihm der Gefährte entsetzlich fehlen.
Als er dann aber die Säulenhalle entlangging, wo Männerstimmen zur marmornen Decke hochstiegen, schweiften seine Gedanken von Nobu ab, sogar von der Bruderschaft und hin zu Leah. Wie gut, dass sie verheiratet war, sagte er sich, denn die Bruderschaft würde nicht nur einen Großteil seiner Zeit beanspruchen, er musste auch mit ganzem Herzen dabei sein. Auch nach dem Noviziat würde ihm wenig Zeit für anderes bleiben.
Sobald er an Leah dachte, ging ihm einmal mehr das Herz auf. Wenn er sie sich vorstellte … sich an den Kuss vor einem Monat unter einer goldenen Sonne erinnerte. Er dankte den Göttern, dass sie ihnen diesen einen Moment gewährt und sie damit für den Rest ihres Lebens gestärkt hatten.
War das genug?, überlegte er jetzt.
Düstere Gedanken stiegen in ihm hoch, wenn er an Leahs Ehemann dachte. Er fand es seltsam, dass Caleb ihm noch keinen Brief an seine Familie in Damaska diktiert hatte. Anders als Avigail, die ihre Cousine informiert hatte, dass Caleb gut angekommen und inzwischen mit ihrer Enkelin verheiratet sei, dass sich ihre Familie über den Zuwachs freue und die Cousine doch mal zu Besuch kommen solle. Von Caleb dagegen keinerlei Diktat (obwohl er Elias gesagt hatte, er habe seiner Familie die bevorstehende Hochzeit mitgeteilt, worauf man ihm als Antwort etwas von Krankheit und finanziellen Schwierigkeiten mitgeteilt habe. Möglicherweise hatte er ja die Dienste eines Schriftgelehrten hier im Hause des Goldes in Anspruch genommen).
Er gelangte zum Eingang, zwei hohen Holztüren, die sich in ihren Angeln bewegten und öffneten. Laut der Inschriften in Keilschrift zu beiden Seiten befanden sich hier die Bibliothek und die Archive. David sah einen langen, entlang der Wände von Fackeln in Halterungen spärlich erhellten Korridor. Der Fußboden glänzte. Vor Stolz erschauernd trat er über die Türschwelle. Gewöhnliche Bürger durften diesen heiligen Bezirk nicht betreten. Und heilig war er in der Tat, barg er doch die Aufzeichnungen der ältesten Worte, niedergeschrieben von den Göttern selbst zu Anbeginn der Zeit. Genau hier gedachte David eines Tages, wenn er das höchste Amt erreicht hatte, Shubat Ehre zu erweisen.
Durch eine Nebentür
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