Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
erschien ein Schriftgelehrter, gekleidet in das Einheitsgewand der hier lebenden Brüder: ein eng anliegendes Hemd aus weicher brauner Wolle über einem knöchellangen Rock aus weißem Leinen. Sein gekräuselter langer Bart und der goldene Reif um die Stirn wiesen ihn als studierten Mann aus.
    David stellte sich vor und nannte den Grund seines Besuchs.
»Shalaam,
Bruder, und der Segen Dagons«, sagte der Mann und nickte. »Folge mir.«
    Beim Passieren der vielen offenen Türen erblickte David riesige Säulen, deren Kapitelle in Form von Blüten gemeißelt und bunt bemalt waren – majestätische Blumen, die die hohe Marmordecke stützten. Er erblickte Schriftkundige, die auf Hockern saßen und im Schein von Messinglampen geschickt mit Stift und Ton hantierten. David nahm an, dass einige von ihnen Studenten waren, andere für die Regierung arbeiteten; sich mit den geschäftlichen Belangen einer Stadt abzugeben oblag Männern, die des Lesens und Schreibens mächtig waren. Zuzusehen, wie diese brüderlichen Schriftkundigen ihrer heiligen Aufgabe nachgingen, ließ Davids Herz vor Stolz schwellen. Er konnte es kaum erwarten, dem reglementierten Leben einer Bruderschaft beizutreten, wo man ihm Opferbereitschaft abverlangen würde, wo ihm Rücksicht auf seine Mitbrüder auferlegt, sein Glaube immer wieder auf die Probe gestellt werden würde.
    Ob es sich wohl einrichten ließ, überlegte er, dass er auf der Stelle der Bruderschaft beitrat und weiterhin Elias zu Diensten war?
    Am Ende des Korridors übergab ihn sein Begleiter einem anderen, dessen Goldbänder um Ober- und Unterarme, die vielen goldenen Ringe an seiner Hand und der kunstvoller gearbeitete Reif um seinen Kopf ihn als um einiges hochrangiger auswiesen.
»Shalaam,
mein Bruder«, sagte er und stellte sich vor, aber David war dermaßen beeindruckt von der Größe des inneren Heiligtums und der Tatsache, dass er seiner Bestimmung so nahe war, dass er nur mitbekam, dass der Mann seinen Namen mit Yehuda angegeben hatte. Entsprechend verblüfft war er, als er diesen Schriftgelehrten fragte, ob er zufällig mit Jotham dem Schiffbauer verwandt sei, und zur Antwort erhielt: »Ich bin sein Neffe.«
    Obwohl er mitbekommen hatte, dass der Neffe von Elias’ Feind Schriftgelehrter war, war er doch höchst überrascht, nun einem Mitglied der Familie leibhaftig gegenüberzustehen, die die Familie, der David diente, in den Ruin treiben wollte.
    Über Zira, seine Mutter, wusste er nur, dass Elias’ Dienerinnen sie als »eselsgesichtige Vettel« bezeichneten. Auch der Sohn hatte ein fliehendes Kinn und einen ausgeprägten Überbiss. Er war hochgewachsen, und anhand der Schatten unter seinen tief eingebetteten Augen erinnerte sich David daran, dass Leah gesagt hatte, er leide an der Fallsucht. Dennoch habe er hochfliegende politische Ambitionen und spekuliere sogar auf den Thron.
    »Was wünschst du, mein Bruder?«, fragte Yehuda in näselnd tiefem Tonfall.
    »Dürfte ich den Rab kennenlernen?«
    »Er schläft gerade.«
    David runzelte die Stirn. »Es geht ihm hoffentlich gut? Wo es doch erst Mittag ist …«
    »Er ist alt«, sagte Yehuda und fügte hinzu: »Beim nächsten Aufgang des Morgensterns im Sommer wird ein neuer Rab ernannt werden.« Irgendetwas in seiner Stimme, vielleicht auch wie er sich in Positur warf, schien darauf hinzudeuten, dass Yehuda dessen Nachfolger werden wollte.
    »Edler Yehuda«, hob David an und verspürte sofort Gewissensbisse – einerseits setzte der Onkel dieses Mannes alles daran, Leahs Familie zu vernichten, andererseits war er ein Schriftgelehrter, und als solchem hatte David ihm Anerkennung und Respekt zu zollen. »Ich möchte in acht Monaten dieser Bruderschaft beitreten.« Wohlweislich sah er davon ab, Elias als seinen gegenwärtigen Dienstherrn anzugeben. »Aber da ich in Ugarit fremd bin, habe ich niemanden, der für mich bürgt.« Er hatte gehofft, dass er als Prinz des Königshauses von Lagasch leichter Aufnahme in dieser Bruderschaft finden würde, aber jetzt musste er darauf achten, Lagasch nicht zu erwähnen, weil Yehuda bestimmt erfahren hatte, dass Elias’ neuer Schreiber von dort stammte.
    »Ausnahmen können gewährt werden.« Um sie herum flackerten Lichter in Wandleuchten, warfen in Abständen Schatten auf das schmale Gesicht des Schriftgelehrten. Was es ausdrückte, war schwer zu ergründen. Und da Yehuda es bei dieser Antwort beließ, fragte David nach: »Welche Ausnahmen?«
    »Wir haben in unserer Gemeinschaft Brüder, die

Weitere Kostenlose Bücher