Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Anwalt.«
Elias winkte ab. »Ein Anwalt zieht weitere Anwälte nach sich, und die kann ich mir nicht leisten. Gibt es denn keinen anderen Ausweg?«
David dachte an die Schriftgelehrten in der Bruderschaft. Es wäre doch anzunehmen, dass sie die Unterschrift auf dieser Tafel mit anderen vergleichen konnten, die Kapitän Yagil im königlichen Archiv hinterlegt hatte. Ob sie aber ehrlich Auskunft geben würden? Der Rab hingegen, von dem man wusste, dass er sich bei der Ausübung seines Amts an strengste Maßstäbe hielt, wäre über jeden Verdacht erhaben. David hatte sich bislang vergeblich um eine Audienz bei ihm bemüht; aber da dieser Mann im Rang gleich nach dem König kam, war er entsprechend stark beschäftigt. »Ich werde den Rab bitten, einen Blick auf diese Tafel zu werfen«, sagte David jetzt zu Elias. »Du bleibst hier. Du wirst im Weinberg benötigt. Dies ist die arbeitsintensivste Zeit des Jahres. Sobald ich eine Antwort habe, komme ich zurück.«
In den zurückliegenden dreißig Tagen hatte er viermal bei der Bruderschaft vorgesprochen. Jedes Mal hatte Yehuda ihm erklärt, der Rab habe keine Zeit, und dabei immer wieder vielsagende Pausen eingelegt, um David die Möglichkeit zu geben, Unausgesprochenes zu ergänzen. Ziras Sohn erwartete zweifellos eine finanzielle Entschädigung für die Erlaubnis, beim Rab vorzusprechen. In Lagasch standen Schriftgelehrte allen Bürgern zur Verfügung, auch wenn es dauern konnte, bis man zu einer Audienz vorgelassen wurde. David hingegen schaffte es nicht einmal auf den Terminkalender des Rabs. Nicht ohne Bestechung!
Immerhin hatte er sich bei allen seinen Besuchen im Haus des Goldes die Räumlichkeiten und Korridore eingeprägt und das Kommen und Gehen der Schreiber verfolgt. Er hatte beobachtet, wie Yehuda sich verhielt, wenn er, David, an bestimmten Türen vorbeiging – an einer eher unauffälligen Tür hatte er sich ihm einmal regelrecht in den Weg gestellt, wie um davon abzulenken, dass sich jenseits davon etwas oder jemand von großer Bedeutung befand.
Da allen eingetragenen Schriftkundigen in Ugarit der Zugang zur Bibliothek freistand, schritt er selbstbewusst und so, als hätte er dort etwas zu erledigen, durch den Hauptkorridor, lächelte und nickte denen, an denen er vorbeikam, zu, nicht ohne dabei Ausschau nach Yehuda zu halten. Vor der unauffälligen Tür blieb er stehen, sah sich um. Niemand hielt sich im Korridor auf. Da außer den Männerstimmen, die aus anderen Räumen drangen, und den flackernden Flammen in den Messinglampen nichts auszumachen war, drückte David auf den Türriegel aus Bronze und schlüpfte in das Zimmer.
Es war geräumig und erstaunlich dunkel, nur eine einsame Messinglampe hing an Ketten von der Mitte der Decke. Sie warf ihr Licht auf ein Bett, einen Teppich, auf Stühle und einen Tisch. Wenn ein Schriftkundiger hier wohnte, würde er unbedingt mehr Licht benötigen! Wohlwissend, dass er sich widerrechtlich hier aufhielt, und weil er vermutete, dass dies ein besonderes Zimmer war, lauschte David mit angehaltenem Atem. Seltener und dementsprechend kostspieliger Weihrauch hing in der Luft und verriet ihm, dass dies die Unterkunft keines gewöhnlichen Mannes war.
»Ist da jemand?«, kam eine Stimme aus dem Dunkel. Da nur die Mitte des Raums schwach erhellt war, lag alles dahinter in tiefem Schatten.
»Shalaam
und der Segen Dagons«, rief David leise. »Verzeih mir mein Eindringen. Ist dies die Kammer des Ehrenwerten Rabs?«
»Shalaam.
Tritt näher, mein Sohn.«
David ging auf die Stimme zu. »Verzeih, aber ich kann nichts sehen«, sagte er.
»Ich auch nicht, mein Sohn. Komm bitte noch näher.«
Als sich Davids Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er einen Mann, der in einem Armstuhl auf einer Art Podest saß. Seine Füße ruhten auf einem Schemel. Er hatte schütteres weißes Haar und einen langen weißen Bart. Auch sein Gewand war weiß, leuchtete im Dunkel beinahe gespenstisch. An der Wand hinter ihm schimmerte eine in Gold gehämmerte Scheibe, über deren Rand Flammen herausdrängten, während aus der Mitte ein einzelnes menschliches Auge starrte. Das heilige Emblem der Bruderschaft.
»Bist du der Rab?«, fragte David.
»Der bin ich«, sagte die sitzende Gestalt mit einer Stimme wie trockenes Laub.
David suchte nach Worten. Er stand vor dem Rab von Ugarit – jahrelang hatte er von einer solchen Begegnung geträumt! »Verzeih mir mein Eindringen, Rabbi«, sagte er, wobei er sich der kanaanäischen Anrede
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