Im Auge des Feuers
in der Nacht ganz einfach selbst die Tür aufgeschlossen hat. Diese Schlüssel haben wir bisher weder berücksichtigt noch zu Gesicht bekommen.«
Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Der Mörder hat wahrscheinlich Karls Schlüssel an sich genommen. Aber warum sollte Johan das tun, wenn er eigene Schlüssel zum Haus hat?«
Kapitel 50
Eira fand Dr. Moes Adresse und setzte sich ins Auto. Der langjährige Arzt der Familie war zweiundachtzig Jahre alt, wohnte aber noch in seiner eigenen Wohnung und kam allein zurecht. Als Eira an Dr. Moes Wohnungstür läutete und sich vorstellte, wurde er eifrig hineingebeten. Eine ungewohnte Erfahrung für einen Kommissar. War ab einem gewissen Alter vielleicht jeglicher Besuch willkommen?
»Johan Fjeld?« Dr. Moes Haut war vergilbt. Auf dem Kopf hatte er viele braune Leberflecke, aber nur noch ein paar vereinzelte Haare. Der Mann sah aus, als befände er sich kurz vor der Mumifizierung, und seine Augen waren etwas matt. Doch Eira erkannte schnell, dass sein Geist gut funktionierte. »Andreas Fjelds jüngster Sohn, nicht wahr?«
Eira nickte und der Mann verschloss sich wie eine Auster, der man auf die Schale geklopft hatte. Der Widerwille, mit Außenstehenden über seine Patienten zu sprechen, war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Eira legte die Papiere vor, die den Arzt von seiner Schweigepflicht entbanden. Moe warf einen langen und immer noch genauso unwilligen Blick darauf. »Johan Fjeld als Kind? Warum um Himmels Willen sollte das von Interesse sein?«
»Hören Sie, Dr. Moe. Es heißt, Johan sei als Sechsjähriger im Keller eingesperrt worden. Der gleiche Keller spielt jetzt eine Rolle bei der Untersuchung des Mordes an Karl Fjeld, wahrscheinlich sogar ebender Raum, in dem Johan als Kind eingeschlossen war. Vielleicht wird Johan ja von Erinnerungen an dieses üble Erlebnis verfolgt?«
Eira konnte eine hilflose Geste nicht unterdrücken. Er fühlte sich so unbeschlagen in Sachen Psychologie. »Bitte, Dr. Moe. Waswissen Sie über dieses Ereignis, das für den sechsjährigen Johan so schockierend war?«
Dr. Moe faltete seine langen, knochigen Finger und sah Eira direkt in die Augen. »Sie waren damals Kinder, Eira. Johan war sechs, Rita acht Jahre alt. Einige Spielkameraden waren dabei. Alle wussten von Johans Angst vor dunklen Räumen, Kellern, Dachböden … Es wurde vermutet, dass er mit einem Trick dort hinuntergelockt worden war. Die Tür wurde abgeschlossen und der Junge saß fest, fast bis Mitternacht.« Der greise Arzt machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kinder eben.«
»Er ist eingeschlossen und so lange allein gelassen worden?«
Moe nickte.
»Könnte das Blut, das wir gefunden haben, von damals stammen?«
»Gut möglich. Er hat sich an der Tür blutig gekratzt. Wenn Sie suchen, finden Sie sicher noch ein paar Spuren mehr.«
Eira schauderte. »Konnte man jemanden zu einem Geständnis bewegen?«
»Oh ja. Rita hatte ihn eingeschlossen. Das fanden wir alle bereits entsetzlich genug, aber noch schlimmer war, dass sie danach keinerlei Zeichen von Reue zeigte.«
»Weiß Johan, dass Rita ihn eingesperrt hat?«
»Nein, das weiß er nicht. Außer natürlich, sie hat es ihm als Erwachsene erzählt. Die Eltern wollten damals nicht, dass es herauskam. Sie hatten das Ziel, die Geschwister mit einem guten Verhältnis untereinander aufwachsen zu lassen.«
Ein Kurs in Psychologie würde ihm gut tun, dachte Eira resigniert, nachdem er sich von Dr. Moe verabschiedet hatte. Es war gut, Mona Lie in der Hinterhand zu haben. Wie so oft in letzter Zeit dachte er an sie. Er wollte sie sehen und außerdem hatte er einen Auftrag für sie.
Mona Lie traf pünktlich im Café im Aunegården ein. Die alte Metzgerei, die den Brand von 1969 überlebt hatte, war zu einem Restaurant mit vielen Ecken und Nischen umgebaut worden und ideal für vertrauliche Gespräche an einem Dienstagnachmittag. Mona hatte eine Aktentasche dabei und war elegant gekleidet, mit Kostüm und hohen Stiefeletten. Unter dem dicken Isländerpulli fühlte Eira sich eigenartig verschwitzt und bemerkte plötzlich, dass seine Finger gelbe Flecken hatten. Am Abend zuvor hatte er einen Schnitt mit Jod bepinselt.
Sie nahm mit einem kecken Hüftschwung Platz, während er seine Hand unter den Tisch schmuggelte.
»Hast du was mit Jod gemacht?«
Eira fühlte sich wie ertappt und nickte matt.
»Du schneidest dich bestimmt häufig, wenn du an deinen Messern arbeitest. Ich werde dir etwas anderes geben. Jod
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