Im Auge des Feuers
kirchlichen Stadtmission, etwas später am Tag. Vielleicht so gegen zwei.«
»Abgemacht.« Eira hob die Hand, drehte sich um und ging weg. Seine Beine fühlten sich an wie Blei.
Jens Eide hatte sich von der Bank erhoben und torkelte in Richtung Storgata. Es war spät und am spärlich beleuchteten Kai fiel es ihm schwer, die Füße richtig zu setzen.
Die dunkle Gestalt, die an einem Treppengeländer lehnte, konnte Jens nur erahnen. Er blieb stehen und fand mühsam die Balance.
»Warum in aller Welt stehst du hier? Du siehst aus, als ob du frieren würdest.«
»Da hattest du ja gerade nette Gesellschaft, Jens.«
»Ja, nicht wahr? Kaum zu glauben. So spendabel war schon lange keiner mehr. Und wenn man einmal guten Schnaps hat, laufen sie gleich alle herbei.«
Jens hielt inne und blickte zu Boden, als fixiere er eine bestimmte Sache. »Moment mal, was mir da gerade einfällt … Dich wollte ich ja schon lange mal was fragen.« Er starrte immer noch auf die Erde. »Du warst ja direkt vor dem Abfallcontainer, als Per Andersen verbrannt ist.«
»Abfallcontainer?«
»Der beim Einkaufscenter. Zuvor war Baumüll in dem Container. Aber genau an diesem Tag haben sie ihn geleert, und da hab ich mich für die Nacht dort drinnen eingerichtet. Es ist ein Dach drauf, weißt du.« Jens hob den Blick und schien auf einmal aufgeregt zu sein. »Ich bin aufgewacht, als du vorbeigegangen bist. Hast du gesehen, was mit Per passiert ist? Du musst es gesehen haben.«
Der vor seinen Augen wedelnde Fünfhundert-Kronen-Schein brachte Jens zum Schweigen. »Fünfhundert?«
»Es ist schade um dich, Jens. Der Alkohol hat dich kaputt gemacht. Du phantasierst. Aber jetzt ist es zu spät. Du wirst dich sowieso nicht mehr ändern. Kauf dir morgen Schnaps.«
Jens starrte dem Rücken nach, der um die Ecke verschwand. In der Hand hielt er den Schein. Er hatte bereits vergessen, worum es bei dem Gespräch gegangen war.
»Verdammt nett!«, rief Jens, aber die Worte verhallten im Wind. »Oh jolly good whiskey for everyone«, grölte er.
Dann brach er abrupt ab. Es wäre unklug, das an die große Glocke zu hängen, dann würde bloß ständig gebettelt werden. Dieses Geld würde er nun wirklich für sich behalten. Ordentlich Schnaps kaufen. Vielleicht sogar ein Frikadellenbrot.
Er steckte den Schein in die Tasche und lachte leise in sich hinein. So viel Geld hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt. Zu keinem Menschen ein Wort.
Kapitel 53
In der Küchentür blieb Eira stehen. Die Frau an der Arbeitsplatte war barfuß, und die grellen Farben ihrer Kleidung beseitigten jeden Zweifel, um wen es sich handelte. Er wusste nicht recht, was er mit sich anfangen sollte – still und leise wieder hinausgehen oder eintreten? Es roch ungewöhnlich, sie bereitete wohl irgendein Fleischgericht zu. Auf dem Schneidebrett erblickte Eira zwei lange, rote Chilischoten. Wenn der Geschmack des Essens genauso intensiv war wie die Farben, die sie trug, war es sicherlich kein Gericht für Anfänger.
Er sah sich nach Niillas um. Offenbar war der Junge nicht da. Victoria drehte sich halb um und lächelte Eira zu, als sei alles in schönster Ordnung. »Magst du Indisch?«
»Indisch?« Sie meinte wohl das Essen.
Es musste an seinem Gesichtsausdruck liegen, dass sie in Lachen ausbrach. »Indisches Essen, ja. Das Einzige, was Männer wie dich zum Weinen bringen kann.«
Ohne besonderes Gespür für derlei Dinge zu besitzen, hätte er schwören können, dass sie mit ihm flirtete. »Wo ist Niillas?«
»Uns fehlte frischer Koriander. Und Naan-Brot. Er holt es.«
Noch ein kleiner Nasenstüber. Niillas wusste gut, dass sein Vater um diese Zeit fast immer beim Einkaufen war – trotzdem hatte der Junge keine SMS geschickt. Es wäre so einfach gewesen, seinen Vater zu bitten, noch etwas mitzubringen. Na ja, Koriander und Naan-Brot. Niillas glaubte wohl, dass Eira sich bei so was nicht auskannte. Aber er hätte wenigstens fragen können.
Eira versuchte, an etwas anderes zu denken, und begann, seine Einkäufe in den Kühlschrank einzuräumen. Koteletts, Rotkohl und Erbsen. Nicht gerade einfallsreich.
Er betrachtete den Topf auf dem Herd, dessen Inhalt kräftig blubberte. »Das heißt also, dass ich zum Essen eingeladen bin?« Eira wünschte sich von ganzem Herzen, seine Abneigung gegen Victoria endlich überwinden zu können. Aber seine Stimme klang trotzdem unecht. So redete er normalerweise nicht.
»Durchaus.« Victoria wirkte unbeeindruckt. Seine deutlich wahrnehmbare
Weitere Kostenlose Bücher