Im Auge des Feuers
vergeblich, den logischen Gehalt dieser Aussage zu ergründen. Dann wechselte er das Thema. »Sie haben vor einigen Tagen gesagt, dass Sie etwas zu sühnen hätten. Was meinten Sie damit?« Er sah sie durchdringend an.
Sie lachte leichthin. »Haben wir das nicht alle? Sie nicht auch? Das war doch bloß so eine Redensart von mir.«
Eira verdrehte innerlich die Augen. Sie entglitt ihm wieder wie ein glitschiger, frisch gefangener Fisch.
»Vielleicht war ich eine schlechte Mutter, vielleicht hätte ich nicht schon so bald nach dem Brand meiner Wege gehen sollen? Ich habe das erst später begriffen, als ich sah, wie verbittert Sverre geworden war. Er schleppt ein riesiges Trauma mit sich herum. Das war mir damals nicht bewusst.« Sie zuckte leicht mit den Schultern. »So was hatte ich im Sinn, Eira. Aber Sühne war ein allzu großes Wort, das gebe ich zu.«
Eira ließ wieder ein paar Momente des Schweigens vergehen. »Ich möchte jetzt noch mal zum zentralen Thema kommen. Wo waren Sie, als der Brand im Mai 1969 ausbrach?«
Seine Augen erforschten ihr Gesicht, aber dort war nichts als eine eiserne Maske zu sehen. »Ich habe die Vernehmungsprotokolleeingehend studiert. Sie haben Ihre Antworten unter Eid gegeben.«
»Worauf wollen Sie mit alldem hinaus, Eira?«
»Ich habe mich beim Lesen ziemlich gewundert. Ihr Mann Oscar war an jenem Abend ins Stadtzentrum gefahren und noch nicht wieder nach Hause gekommen. Ihr Sohn war auch draußen unterwegs. Es war nicht ganz unwahrscheinlich, dass Sverre versuchen würde, dorthin zu gelangen, wo sein Vater sich gerade aufhielt. Dennoch haben Sie in keinster Weise Alarm geschlagen. Wo waren Sie?«
»Der Brand ist weit nach Mitternacht ausgebrochen, Eira. Ich war zu Hause in meinem Bett. Ich hatte nicht bemerkt, dass mein Mann immer noch unterwegs war, und über meinen Sohn hatte ich wenig Kontrolle. Er war schließlich ein typischer Teenager.«
»Sie hatten die Scheidung beantragt?«
»Ich war nicht unempfänglich für Karls andauernde Annäherungsversuche. Aber ich wollte nicht einfach davonlaufen, wie es mir Karl schon mehrfach vorgeschlagen hatte.«
»Wann haben Sie erfahren, was passiert war?«
»Erst am frühen Morgen, als Sverre gefunden und ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Jemand hat bei mir zu Hause angerufen und mich informiert.«
Gunhilds kühles, granithartes Äußeres würde niemand auf dieser Welt durchdringen können, wenn sie es nicht selbst gestattete. Ihre Worte reihten sich flüssig aneinander und es hatte nicht den Anschein, als müsse sie nachdenken. Dennoch erahnte Eira einen müden Zug in ihrem Gesicht. War sie kurz davor nachzugeben?
Er seufzte leise. Gunhild ließ nichts weiter verlauten. Vermutlich handelte es sich doch nur um Wunschdenken seinerseits.
Sie waren bei Gunhilds Pension angekommen und Eira stellte den Motor ab. »Um es deutlich zu sagen, Frau Wikan: Wir glauben an keine der Theorien, die wir bisher gehört haben.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Haben Sie mal was von den Brüdern Eide gehört? Vielleicht haben Sie sie ja sogar mal im Hinterhof von Fjelds Bürogebäude gesehen – vor dem Brand von 1969, meine ich. Ich glaube, die beiden hatten dort eine Art Unterschlupf. Aber möglicherweise gab es ja auch jetzt, nach fast vierzig Jahren, ein unverhofftes Wiedersehen? Zumindest mit einem der beiden?«
In ihrem Gesicht bewegte sich kein Muskel. Ihre Hände umfassten ruhig die Handschuhe. »Jens Eide? Ich habe gehört, was mit ihm passiert ist. Aber ich bin ihm nicht begegnet.«
Eira dachte sich, wenn schon, denn schon, und schloss gleich eine weitere Frage an: »Haben Sie Karl Fjeld nach der Brandnacht von 1969 jemals wiedergesehen?«
Sie sah ihn lange und verwundert an. »Was für eine Frage, Eira. Natürlich nicht.«
»Sie waren bereits in der Stadt, als er am 15. Oktober angekommen ist. Wir schätzen, dass er drei Tage hier war, bevor er getötet wurde. Genug Zeit, um sich sogar rein zufällig über den Weg zu laufen. Tromsø ist doch in gewisser Hinsicht ein Dorf.«
»Ich hatte keine Ahnung davon, dass er hier gewesen sein soll.« Sie suchte wohl nie nach Worten. Sprach leicht und unbekümmert, mit einer Spur Sarkasmus, vielleicht auch Bitterkeit.
Es brannte Eira unter den Nägeln, Gunhild noch intensiver zu vernehmen. Aber sein Gefühl riet ihm, erst einmal abzuwarten. Da würde sich unter Umständen von selbst etwas herauskristallisieren, was er momentan nur vage erahnen konnte. Jedenfalls musste er Gunhild
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