Im Auge des Feuers
abgekämpft wie nach einem Dauerlauf. »Ich muss reden, während sie auf der Toilette ist. Papa, also, ich weiß auch nicht … Hier passiert gerade etwas völlig Verrücktes! Dein Messer ist hier, bei ihr. Mit Scheide und allem.«
»Wo hast du …«
»Es lag auf ihrem Schreibtisch. Zusammen mit einigen total abgedrehten Briefen an dich und auch einen an Mona … das ist … Scheiße, das ist …«
Eira hörte, wie eine Tür geöffnet wurde und ihre Stimme etwas sagte.
»Niillas …«, er kam nicht weiter. Das Gespräch war abgebrochen worden.
Im nächsten Moment hatte er das Auto gewendet und war zusammen mit Berger auf dem Weg zu Victoria.
Kapitel 75
Nancy Larsen stieg zwei Haltestellen zu früh aus dem Bus. Fröstelnd schlug sie den Mantelkragen hoch, um sich vor dem Abendwind zu schützen, und spannte den Schirm auf, bevor sie in Richtung Clodiusbakken weiterging. Die lange Steigung möglichst schnell zurückzulegen war viele Jahre eine Art Fitnesstraining für sie gewesen. Aber mittlerweile fiel ihr der Anstieg immer schwerer.
Es war schon lange stockdunkel. Die Luft drang schneidend kalt bis in ihre Kehle vor. Nancy bog in eine Seitenstraße ein, als der Streifenwagen gerade wieder abfuhr. Sie wusste, dass die Beamten täglich ein paar Mal vorbeikamen, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung war.
Als die Polizei das Haus und den Garten abgeriegelt hatte, war keiner auf die Idee gekommen, Nancy zu bitten, ihre Schlüssel abzugeben. Sie war fast ein wenig gekränkt gewesen. Einige waren wohl auch heutzutage noch der Ansicht, Frauen wie sie seien bedeutungslos.
Nancy schloss die Tür auf und betrat das Haus.
In der Küche griff sie zur Gießkanne. Die Topfpflanzen brauchten viel Zuneigung. Dank Nancys Pflege und ihres grünen Daumens blickte so mancher Blumenstock in diesem Haus auf ein ungewöhnlich langes Leben zurück. Nancys erster Gedanke bei Johans Inhaftierung war gewesen, was nun wohl mit all seinen schönen Zimmerpflanzen passieren würde.
Sie ging von Topf zu Topf. Einige der Gewächse sahen doch schon etwas mickrig aus. Es war hier einfach zu kühl und zu dunkel.
Schließlich seufzte sie tief und nahm plötzlich wahr, dass der wohlbekannte Geruch dieser Räume sich verändert hatte. Heuteroch es fast wie verbrannt, wenn auch nur schwach. Schnell öffnete Nancy ein Fenster, um herauszufinden, ob diese eigenartige Note von draußen käme. Zu dieser Jahreszeit heizten viele Nachbarn mit Holz. Aber draußen roch es nur nach kaltem Winter.
Sie ging durch die Küche ins Wohnzimmer. Der Geruch wurde schwächer. Nancy machte auf dem Absatz kehrt. In der Diele war der Geruch wieder stärker. Es roch richtig versengt. Eine Gardine an einem warmen Ofen? Ein zu heißes Bügeleisen auf synthetischem Stoff? Aber nichts davon konnte im Moment hier im Haus der Fall sein. Plötzlich wurde ihr klar: Sie musste den Keller kontrollieren.
Im Gegensatz zu Johan hatte Nancy nie Angst gehabt, dort hinunterzugehen. Sie wunderte sich jedoch sehr, dass die Kellertür offen stand. Nancy spähte hinunter in die Dunkelheit. Der Geruch wurde noch stärker. Es gab keinen Zweifel – irgendetwas musste in Brand geraten sein, aber sie konnte weder Rauch noch Flammen entdecken.
Auf einem schmalen Holzregal im Treppenaufgang standen die Töpfe mit den Amarylliszwiebeln vom vergangenen Jahr. Nancy fiel ein, dass es an der Zeit war, sie heraufzuholen, damit sie Weihnachten blühten. Hastig tastete sie nach dem Lichtschalter. Mit dem weiten Ärmel ihres Mantels streifte sie versehentlich den äußersten Topf und riss ihn zu Boden.
Nancy erschrak.
Der Topf zersprang mit einem lauten Klirren. Es hallte im Treppenaufgang wider.
Sie starrte auf das Erdhäufchen und die Tonscherben.
Wieder fuhr sie zusammen.
Da unten war jemand! Nancy hatte ganz deutlich einen kurzen, scharfen, metallischen Klang gehört. Wie von einem zufallenden Schloss.
Sie war zu keiner Bewegung fähig. Ihr wurde eiskalt. Aber siedurfte sich jetzt nicht gehen lassen. Zitternd holte sie ihr Handy aus der Manteltasche und wählte den Polizeinotruf.
Unten im Keller knarzte eine Tür.
Unendlich lange war lediglich das Freizeichen zu hören. Warum nahm denn dort keiner ab?
Dumpfe Schritte näherten sich und würden jeden Augenblick bei ihr sein.
Endlich ging jemand ans Telefon.
»Es … es … brennt …« Ihre Stimme versagte.
»Wo brennt es?«
»Bei Fjeld …« Ihre Hand ließ das Handy in den nächsten Amaryllistopf sinken. Nancy war außerstande,
Weitere Kostenlose Bücher