Im Auge des Feuers
die dunkelste Jahreszeit und das Wetter und die Straßenverhältnisse können sich innerhalb von Minuten ändern. Um diese Jahreszeit laufen nicht viele abseits von Pfaden und Wegen, nehme ich an. Der Mörder muss sich ganz gut mit den hiesigen Natur- und Klimabedingungen auskennen. Dort im Gebirge bleibt eine Leiche eher unentdeckt. Jedenfalls ist es viel sicherer, als den Toten hier unten am Kai ins Meer zu werfen.«
»Wenn ihn keiner als vermisst meldet, wird der Fall ungelöst bleiben.«
»Solange die DNA des Mannes nicht registriert ist.«
»Ich glaube nicht, dass es einfach wird. Wenn man einen solchen Schritt unternimmt, um die Identität einer Leiche zu verbergen, muss das gründlich, vielleicht sogar langwierig vorbereitet worden sein. Ich nehme an, wir werden mit diesem Fall alle Hände voll zu tun bekommen.« Er zeigte zur Tür und kritzelte einen Zettel für seinen Sohn, den er mitten auf dem Küchentisch platzierte. »Die Arbeit ruft, Berger.«
Kapitel 18
»Ein Toter oben im Gebirge?« Benjaminsen war als Letzter im Besprechungsraum eingetroffen und hatte sich auf einen leeren Platz direkt neben der Tür fallen lassen. Nachdenklich rollte er die Limonadenflasche zwischen beiden Händen hin und her, während Eira das Team über die neuesten Ereignisse informierte.
»Der Kopf fehlt?« Benjaminsen schien nicht zu begreifen.
»Das Opfer war bereits tot, als der Kopf abgetrennt wurde. Daher können wir nur ungefähre Angaben machen: weißer Mann, zwischen sechzig und fünfundsiebzig Jahren. Circa eins fünfundachtzig groß. Altmodische Wanderkleidung von guter Qualität. Wir warten auf einen Abgleich der Fingerabdrücke mit unserem Archiv.« Die ersten Fotos waren fertig. Eira war dabei, sie an der Tafel anzubringen.
Einer der Polizeibeamten ergriff das Wort. »Vorläufig passt keiner der vermisst Gemeldeten zu der Beschreibung … soweit der Tote überhaupt beschrieben werden kann. Den Untersuchungen zufolge ist er bereits mehr als vierundzwanzig Stunden tot gewesen, als man ihn fand. Bei uns sind aber schon seit drei Tagen keine Vermisstenmeldungen mehr eingegangen.«
»Und es gibt keine Blutspuren? Wie geht das zusammen, ein abgetrennter Kopf, aber kein Blut?« Benjaminsen bewegte sich unbehaglich auf seinem Stuhl. » Irgendeine Spur muss doch noch zu sehen sein …« Er unterbrach sich, als die Tür aufging und Berger hereinkam. Ihr Gesichtsausdruck deutete auf Neuigkeiten hin.
»Wir hatten sie tatsächlich.« Sie stotterte fast. »Seine Fingerabdrücke waren im Archiv. Der Mann wird allerdings erheblich länger vermisst, als irgendjemand von uns gedacht hätte. Nämlich seit 1969.«
»Seit 1969?« Eira erholte sich als Erster von der Überraschung und studierte das Blatt, das Berger ihm gab.
»Der Mann heißt Karl Fjeld«, sagte Eira langsam und ließ den Blick kreisen. Keiner in der Runde schien mit diesem Namen etwas anfangen zu können.
»Karl Fjeld?« Henriksen reagierte zuerst, er kannte die alten Kriminalfälle. Aus halb liegender Stellung richtete er sich im Stuhl auf. Hatte er zuvor noch stumpf vor sich hingestarrt, so wirkte er jetzt aufgeregt und nicht im Mindesten überzeugt. »Behauptet hier etwa jemand, dass die am Berghang gefundene Leiche Karl Fjeld sein soll?«
»Niemand behauptet irgendetwas. Die Fingerabdrücke beweisen es.«
Henriksen sog deutlich hörbar die Luft ein und rückte seine Brille zurecht. »Das ist schlicht und einfach unmöglich.«
»Was willst du uns sagen …?« Eira versuchte, die Ruhe zu bewahren.
»Karl Fjeld ist nicht kürzlich gestorben. Er ist seit bald vierzig Jahren tot.«
»Merkwürdig. Die Fingerabdrücke sind in unseren Archiven und gehören unzweifelhaft Karl Fjeld. Außerdem habe ich mit einer Frau gesprochen, die beteuert, sie habe ihn neulich gesehen.« Eira erinnerte sich an sein erstes Zusammentreffen mit Magni Andersen bei der Brandruine. Er wandte sich Berger zu. »Erzähl.«
Berger umfasste mit beiden Händen eine dicke, vergilbte Mappe und sah hochkonzentriert aus. »Alles geht zurück auf den großen Stadtbrand von 1969, der angeblich in Fjelds Lagerhäusern unten am Hafen ausgebrochen sein soll. Die Firma Fjeld AS verkaufte Ausrüstung für die Fischereibranche. Sie hatten große Lager am Kai, in den alten Speicherhäusern. Die Gebäude und weite Teile des Stadtzentrums brannten bis auf die Grundmauern nieder. Karl Fjeld war seit der Brandnacht verschwunden. ImZuge der Ermittlungen archivierte man Fingerabdrücke von ihm wie
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