Im Auge des Feuers
dass jemand ihm den Tod wünschte?« Eira stierte einige Sekunden in die Luft. »Gab es eigentlich irgendwelche Aufzeichnungen über den Mann, bevor er 1969 verschwand? Wenn nicht, ist es jetzt unser Job, alles abzuklappern, was man nach so vielen Jahren noch irgendwie aufspüren kann.« Er erhob sich langsam. »Benjaminsen, du überprüfst die Familie, nicht zuletzt die sozialen und beruflichen Verhältnisse. Wir interessieren uns vor allem für die, die zum Zeitpunkt seines Verschwindens, also 1969, am Leben waren. Sieh dir das Strafregister des Mannes an. Ein paar Leute machen eine Tür-zu-Tür-Befragung entlang des Wanderwegs bis zum Campingplatz und weiter hoch zum Gebirgspfad.«
»Ich begreife nicht, was er überhaupt dort oben zu suchen hatte.« Henriksen unterstrich mal wieder das Selbstverständliche.
»Eben. Berger und ich werden noch einmal dort hochgehen und einen Blick auf die Gegend werfen. Es ist ja so, wie du immersagst, Henriksen. Ich bin schließlich Same, also auf eine andere Art und Weise Spürhund als gewöhnliche Kriminaltechniker. Nicht wahr?«
Henriksen nickte. Von Herzen einig und ohne die sozialen Antennen, um Eiras Sarkasmus zu bemerken.
Kapitel 19
Mit dem Handy am Ohr war Eira geradewegs in sein Büro marschiert. Er hatte nicht locker gelassen, bis einer der Laboranten am anderen Ende der Leitung versprochen hatte, den Pathologen Professor Vennestad ans Telefon zu holen. Der hielt gerade eine Vorlesung und war wenig angetan von dieser plötzlichen Unterbrechung.
»Es geht wohl um Leben oder Tod, Eira«, fauchte Vennestad.
»Keinesfalls«, entgegnete Eira. »Dann würde ich nämlich nicht Sie als Ersten anrufen.«
»Ich bin mitten in einer Vorlesung …«
»Vennestad, welche Möglichkeiten zur Identifikation schwer brandverletzter Leichen hatte man, bevor die DNA-Analyse entdeckt wurde? Röntgenaufnahmen vom Gebiss und dergleichen können Sie gleich außen vor lassen. In diesem Fall haben wir keine Zahnarztbilder.«
Vennestad schnaubte. »Eira, es ist mir unbegreiflich. Nur weil Sie meinen, Sie bräuchten auf der Stelle Nachhilfe in Medizingeschichte, musste ich meine hundert Studenten da drinnen zum Däumchendrehen verdonnern?«
»Hat man sich früher immer nur auf Vermutungen gestützt?« Eira war immun gegen Vennestads Empörung.
»Ja … nein … nein, natürlich nicht!« Eira konnte förmlich hören, wie Vennestad mit den Hufen scharrte. »Also, ganz kurz. Meistens hat man eine Art Wahrscheinlichkeitsrechnung angestellt, immer mit der Frage im Hinterkopf: Wer war am ehesten vor Ort? Und konkret gesagt: Fingerabdrücke können starke Verbrennungen überstehen, Zähne halten unglaublich große Hitze aus. Daher setzte man früher vor allem auf die Zähne, und offensichtlichwissen Sie das ja ohnehin schon. Außerdem hatte so manches Opfer vielleicht ein künstliches Hüftgelenk, einen Herzschrittmacher oder einen genagelten Beinbruch. Solche Implantate konnte man leicht einer bestimmten Person zuordnen, und damit hatte man ein Opfer identifiziert. Oder der Betreffende trug ein besonderes Schmuckstück, das die Flammen überlebt hat. Sie sehen, Eira, man stand eigentlich nie absolut ratlos einem unbekannten Toten gegenüber. Aber seit wir auf die DNA-Analyse zurückgreifen können, haben sich die Methoden natürlich gewaltig verändert.« Vennestad atmete tief ein. »Um was geht es also, Eira? Wir haben heute die DNA-Analyse, Sie brauchen sich nun wirklich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man vor 1989 vorgegangen ist.«
»Vennestad, was ich Ihnen jetzt sage, wird Ihre Konzentration für die nächste Stunde ruinieren. Das Problem ist, dass man in Tromsdalen, unterhalb der Rotkreuzhütte, eine Leiche gefunden hat.«
»Das weiß ich bereits.«
»Wir haben den Mann anhand seiner Fingerabdrücke identifiziert, was zunächst schon mal erfreulich ist. Die Schwierigkeit ist nur, dass er 1969 für tot erklärt wurde. In dem Jahr wurde er auch begraben.«
Am anderen Ende war es still. »Ich muss schon sagen, Eira. Das klingt nach einer Herausforderung. Ich werde die Obduktion persönlich vornehmen. Danach sehen wir weiter.« Vennestad brach das Gespräch ab.
Einige Stunden später war der Name »Karl Fjeld« mit allen Reisegesellschaften, Polizeibehörden und Interpol abgeglichen. Man hatte ihn als Passagier einer Rundreise von Bergen nach Kirkenes registriert. Die Liste stammte aus der ersten Oktoberhälfte. Der Mann war sowohl norwegischer als auch kanadischer
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