Im Auge des Feuers
weiteren Foto. »Außerdem diesen ausgefallenen Ring. Die Sachen waren immerhin so gut erhalten, dass man sie eindeutig Karl Fjeld zuordnenkonnte. In Verbindung mit Zeugenaussagen, in denen es hieß, dass er auf das Bürogebäude zugegangen war, war das entscheidend. Lassen Sie mich nachdenken. Es könnte so gewesen sein: Jemandem war klar, dass man eine verkohlte Leiche nach solch einem heftigen Brand nicht würde identifizieren können. Er platzierte die Gegenstände während des Brandes auf und neben der Person. Eine bewusst gelegte falsche Fährte.«
»Glücklicherweise kann ich solche Mutmaßungen Ihnen überlassen, Eira.« Vennestad kehrte ihm den Rücken zu und konzentrierte sich wieder auf die Osloer Rechtsmedizinerin, die dabei war das Skelett zu untersuchen.
Eira trat einen Schritt näher heran und kam ihr damit eindeutig zu nahe, wie sie unmissverständlich zeigte. Ihr langer grüner Kittel, die Haube, der Mundschutz und die Handschuhe sorgten wie gewöhnlich für die perfekte Vermummung. Nichts Individuelles. Umso wirkungsvoller die Augen. Sie musterten Eira über die Brillengläser hinweg klar und scharf.
Eira musste tief Luft holen. »Haben Sie eine Möglichkeit herauszufinden, ob der Mann bereits vor dem Brand getötet worden ist?«
Sie nickte etwas reserviert. »Ich hoffe es.« Dann deutete sie mit ihrem behandschuhten Finger auf die Röntgenaufnahmen des Kopfes. »Hier sehen Sie eine feine Linie entlang der Schädelbasis. Mit Sicherheit eine Bruchlinie, die in einer Vertiefung endet. In einem Abdruck«, korrigierte sie sich schnell. »Das bedeutet, dass der Mann irgendwann einen Schlag gegen den Kopf bekommen hat. Wir werden uns das genauer ansehen.« Die Falte zwischen ihren Augen wurde tiefer. »Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich muss mich konzentrieren. Die Polizei bekommt eine Zusammenfassung meiner Ergebnisse, wenn ich die Untersuchung abgeschlossen habe.«
Eira hatte seine Ration an Informationen zugeteilt bekommen.Er drehte sich zu Vennestad um, der schweigend dem kurzen Wortwechsel zugehört hatte. »Sobald Sie Bilder von seinen Zähnen haben, werden wir sie sämtlichen Zahnärzten der Stadt schicken, die Unterlagen aus der fraglichen Zeit archiviert haben. Dann können wir nur hoffen, dass er nicht Patient bei einem der Ärzte war, bei denen es ebenfalls gebrannt hat. Nicht weniger als drei Zahnärzte haben damals ihre Praxen verloren.«
»Wir werden sehen, was sich alles finden lässt, Eira. Im Gegensatz zu 1969 können wir diesmal die DNA analysieren. Zu diesem Zweck wollen wir nun gleich mal den Oberschenkelknochen und den Zähnen jeweils etwas Masse entnehmen.«
Eira verließ den Saal. Hier wurde gerade aller Wahrscheinlichkeit nach ein Jahrzehnte zurückliegender Mord aufgedeckt. Seine Theorie war, dass der Mann bewusstlos geschlagen, eventuell auch getötet worden war und danach in dem Haus verbrannte. Seine Identität war im Moment noch ungeklärt. Besonders rätselhaft war, dass damals keine weitere Vermisstenmeldung eingegangen war. So hatte es keinerlei Verdacht gegeben, dass bei dem Brand jemand anders als Karl Fjeld und Oscar Wikan ums Leben gekommen sein könnte.
Kapitel 30
Eira blieb draußen stehen. Der Wind zerrte an ihm, blies den Formalingeruch aus seinem Haar und erlöste ihn von dem Gefühl, ein Film aus uraltem Ruß mumifiziere sein Gesicht. Die schwüle Luft im Obduktionssaal hatte den Schweiß in Eiras Nacken getrieben. Sein Kragen war klamm. Noch bevor sich all sein Unbehagen gelegt hatte und der Stoff wieder trocknen konnte, gefror die Feuchtigkeit darin zu kleinen Eismolekülen.
Eira strich sich mit der Hand über die Augen, als wolle er das Bild der dunklen Skelettreste verscheuchen, atmete tief, bis ihm fast schwindlig wurde. Seine kräftigen Herzschläge gemahnten ihn plötzlich ebenfalls an die Vergänglichkeit des Lebens. An die Uhr, die erbarmungslos tickte und ablief. Er schüttelte diese Gedanken ab und setzte sich in Bewegung. Sein Frühstück war nicht üppig gewesen, fiel ihm ein, und die Gerichtsmediziner würden sicher noch eine Weile brauchen. In der Zwischenzeit konnte er zumindest eines seiner Primärbedürfnisse befriedigen.
Bei Helmersens erklomm er mit einem frisch aufgebrühten Kaffee einen Stuhl am Fenster. Das Koffein brachte seine kleinen grauen Zellen wieder in Schwung. »Irgendwer ist also in dieser mysteriösen Brandnacht 1969 umgebracht worden«, murmelte er in Richtung Fensterscheibe. »Den Rest hat das Feuer erledigt. Ein
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