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Im Auge des Feuers

Im Auge des Feuers

Titel: Im Auge des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorun Thoerring
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gehabt, um mit dem Apparat zurechtzukommen. Er war eben nicht der Hellste gewesen. Per war da ganz nach seinem Vater gekommen. Ein großer, kräftiger Herumtreiber, der tüchtig zupackenkonnte, aber nichts im Kopf hatte. Sie war nur kurz mit ihm zusammen gewesen und hatte so getan, als bemerke sie nicht, dass er nicht lesen konnte oder zum Rechnen immer die Finger benötigte. Auf manche Dinge verstand er sich jedoch durchaus. Und das Resultat war Per.
    Magni schmierte sich vier Scheiben Brot mit Zervelatwurst, gab einen Klecks Sauerrahm darauf, griff nach der Schüssel mit italienischem Salat und ging ins Wohnzimmer. Draußen war es stockfinster und sie schaltete eine kleine Lampe in der Wohnzimmerecke an. Man musste Energie sparen, die Strompreise waren mittlerweile ins Absurde gestiegen.
    Draußen sah sie die Schürzen, die sie auf die Leine gehängt hatte, munter im Wind flattern. Sie mussten schon längst trocken sein. Magni war bisher noch nicht dazu gekommen, sie abzuhängen. Aber was sollte sie jetzt auch über die eisglatten, dunklen Stufen in den Garten laufen, um die Wäsche hereinzuholen? Das konnte nun wirklich bis morgen warten.
    Sie stopfte sich eine Scheibe Brot in den Mund. Die Kruste hatte sie sorgfältig abgeschnitten, weil ihr Gebiss nicht mehr richtig mitspielte. Auch die Zuzahlung für Zahnersatz war grotesk hoch geworden. Magni verwünschte lauthals alle Zahnärzte.
    Sie sinnierte über das ungleiche Paar von der Polizei, das kürzlich bei ihr aufgekreuzt war. Der stämmige Same und dieser dünne Strich von Frau in seinem Schlepptau. Aber eines hatten sie gemeinsam: Keiner der beiden besaß Anstand. Sie war so wahnsinnig wütend geworden, denn natürlich hatten sie recht. Per wusste viel mehr, als er irgendjemandem erzählt hatte. Abgesehen von ihr natürlich.
    Per hatte viele Jahre über die Familie Fjeld und über den Brand gesprochen – bei jedem Abendessen, tagtäglich. Er war nie über die Sache hinweggekommen. Hatte alle Einzelheiten so oft wiederholt, dass sie sie auswendig kannte.
    Natürlich hatte es sie provoziert, als die Kriminalbeamten kamen und offenbarten, wie wenig sie wussten, wie naiv sie doch waren. Selbstverständlich konnte sie ihnen nichts erzählen. All die Jahre war das eine Sache zwischen ihr und Per gewesen. Es hätte keinen Sinn gehabt, die Polizei hineinzuziehen, das hätte nur Scherereien gegeben. Die Polizei war nichts für Leute wie sie und Per. An diesen Grundsatz hatte sie sich immer gehalten, auch, als man sie auf die Wache gebracht hatte. Sie war keinen Deut von ihrer bisherigen Version abgewichen. War bei ihrer Aussage geblieben, bis dem Polizisten Schweißperlen auf die Stirn gtreten waren. Dann hatte er sie gehen lassen.
    Magni Andersen schob sich die letzte Brotscheibe in den Mund, wobei sie dachte, dass jetzt vielleicht doch die Zeit für einen Wendepunkt gekommen war. Per war tot und sie wurde langsam alt. Warum sollte sie länger schweigen? Sie könnte zum Beispiel darüber sprechen, was sie jahrelang beim Putzen im Haus der Fjelds mitbekommen hatte. Oder erzählen, worüber Per vor lauter Angst nicht hatte sprechen können, als er 1969 schweißgebadet, mit merkwürdigen Grimassen auf dem Gesicht, befragt worden war.
    Magni setzte sich im Stuhl zurecht. Der Gedanke gefiel ihr. Morgen könnte sie zum Beispiel geradewegs zum Polizeipräsidenten gehen und sagen, dass sie ganz besondere Informationen habe. Sie mochte diesen Mann nämlich. Er wurde auf den Titelseiten der Zeitungen ständig niedergemacht und musste Nerven aus Stahl haben. Das war einer, mit dem man ein ernstes Wort reden konnte.
    Das Geräusch der Türklingel ließ Magni den Bissen Brot fast unzerkaut hinunterschlucken. Besuche waren selten, und nun plötzlich zwei innerhalb einer Woche? Wenn es wieder dieser Polizist wäre, würde ihr endgültig der Kragen platzen. Irgendwann musste einfach Schluss sein mit der Schnüffelei. Sie saugte ihr Gebiss in die richtige Position und ging zur Tür.
    Die Frau auf der Treppe war von Dunkelheit umhüllt. Magni starrte sie an, aber ohne Licht in der Kugelleuchte über der Tür sah sie die Konturen des Gesichts nur undeutlich. Ausnahmsweise handelte es sich um eine Person, auf die Magni nicht hinuntersehen konnte. Hier stand eine große, schlanke Frau in einem eleganten, roten Wollmantel und schwarzen hochhackigen Stiefeletten. Magni fuhr augenblicklich die Stacheln aus: »Wir kaufen nichts.« Sie hatte die Tür schon wieder halb geschlossen, als die

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