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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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tun.
    »Was ziehen Sie zum Essen an, Sam?«
fragte ich.
    »Gestern abend hätte ich im Anzug
erscheinen sollen. Aber heute bleibe ich bei meinen Jeans.«
    »Ich auch.«
     
    Ich verabschiedete mich von Sam im
Wohnzimmer und ging in die Pantry, wo ich einen Telefonapparat hatte stehen
sehen. Wie Benjamin Ma vorausgesagt hatte, war das Telefon wieder in Ordnung.
Ich rief in der Station an, aber er war nicht da und würde erst in ein paar
Stunden zurück sein. Ich bat, ihn zu benachrichtigen, daß er mich anrufen
sollte. Dann ging ich nach oben, um etwas zu schlafen.
    Als der Wecker um Viertel vor sieben
Uhr klingelte, fühlte ich mich viel besser. Das rauhe Gefühl in der Kehle und
mein Kopfweh waren verschwunden. Muskeln und Gelenke schmerzten noch.
Offensichtlich bekam ich keine Erkältung. Vielleicht, überlegte ich, hatte
Patsy mit ihrer Bemerkung über die Zauberkraft des Vitamin C doch recht.
    Fünf Minuten später stand ich auf und
sah in den Schrank. Jemand hatte meine Sachen ordentlich aufgehängt, vermutlich
Patsy. Auch das Eisgrüne war da, doch ich schob es zur Seite und wählte ein
Paar ziemlich neue Jeans und ein altrosa Kordhemd. Dann bürstete ich mir
kräftig das Haar, legte etwas Make-up auf die Platzwunde am Kinn auf und ging
zu Sams Tür nebenan. Er öffnete auf mein Klopfen sofort. Er trug einen
Skipullover und Kordhosen.
    »Ich dachte, ich begleite Sie
hinunter«, sagte ich.
    »Oh, vielen Dank, Ma’am.«
    Er reichte mir den Arm, und ich legte
zeremoniell meine Hand darauf, und wir schritten würdevoll die Treppe hinab.
Leider war Andrew der einzige, der unsere Clownerie bemerkte. Er grinste spöttisch.
Die anderen standen um den Getränkewagen, auch sie hatten sich nicht
feingemacht. Sam und ich stellten uns in die Schlange, bekamen unsere Drinks
und hatten uns gerade mit Neal an den Kamin gesetzt, als Kelley heraufkam und
meldete, ich würde am Telefon verlangt.
    »Benützen Sie den Apparat in der
Bibliothek, wenn Sie möchten«, sagte Neal.
    Ich bedankte mich erfreut, nahm mein
Glas und ging in die Bibliothek.
    Es war Benjamin Ma, der meine Nachricht
erhalten hatte. »Nun, Miss McCone«, sagte er, »was kann ich für Sie tun?«
    »Ich würde gern wissen, was Sie über
Max Shorkey herausgefunden haben.«
    Es entstand eine Pause. Vermutlich fiel
Ma erst jetzt ein, daß er versprochen hatte, mir Bericht zu geben. »Sie müssen
eine gute Konstitution haben, Miss McCone. So wie Sie gestern abend aussahen,
dachte ich nicht, daß Sie schon wieder auf und munter sind.«
    »Das verdanke ich dem Vitamin C.«
    »Aha, ja.« Ich hörte Papier rascheln.
»Also, Miss McCone, ich fürchte, ich habe nicht viel zu berichten. Wir haben
den Anlegesteg und die Hütte genau untersucht, aber keine Beweise für Ihre
Geschichte gefunden, Mr. Shorkeys Laster stand neben der Hütte geparkt wie
üblich. Man hätte gar nicht mit ihm fahren können, weil die Batterie kaputt
ist.«
    »Was bedeutet, daß seine Leiche mit dem
Boot ausgesetzt wurde.«
    »Vermutlich.«
    »Sicherlich wird sie nicht so schnell
auftauchen.«
    »Es ist zweifelhaft, ja. Wie ich
gestern bereits erwähnte, zieht eine neue Sturmfront herauf, die die Auffindung
der Leiche noch komplizierter machen wird.«
    »Haben Sie mit Max’ Frau gesprochen?«
    »Ja. Sie hat seit einer Woche nichts
mehr von ihm gehört.«
    »Ich habe etwas erfahren, das sie
wissen sollten. Sie hat einen Freund — namens Cal Williams, den Besitzer des ›Water
Witch‹. Ich habe schon mit ihm gesprochen. In der kritischen Zeit arbeiteten
beide im Restaurant. Angestellte und Kunden können es bezeugen. Mrs. Shorkey
arbeitet dort als Kellnerin.«
    »Aha.« Ich war nicht enttäuscht. Es
bedeutete vielmehr, daß ich noch immer mit der Theorie arbeiten konnte, Max’
Mörder stünde mit den Vorfällen auf der Insel in Zusammenhang. »Nun, vielen
Dank, daß Sie zurückgerufen haben«, sagte ich dann. »Ich glaube, daß wäre wohl
alles.«
    Mas Stimme klang bei seiner nächsten
Frage persönlicher und mitfühlender. »Wie geht es Ihnen allen denn?«
    »Gut, danke.«
    »Keine Streuner oder verdächtige
Vorfälle?«
    »Nein.«
    »Gut. Aber ich glaube, Sie sollten sich
klar sein, daß der Wetterbericht nicht vielversprechend aussieht.«
    »Wie schlimm ist es?«
    »Im Augenblick ist noch alles offen.
Aber meinen Erfahrungen nach sollten Sie sich auf einen Orkan gefaßt machen.«
    Ich hängte ein und lehnte mich in dem
rissigen Ledersessel zurück. Von nebenan klang fröhliches Gläserklirren.

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