Im Augenblick der Angst
gefallen. Wir finden einen Weg.«
»Glaubst du?« Es klang, als hätte er einen Scherz versucht, bei dem niemand lachte.
Anna fing an, auf und ab zu gehen, in kurzen, engen Runden, vom Bett zur Tür, drehte auf dem Absatz um und wieder zurück. »Also gut. Welche Möglichkeiten haben wir? Nummer eins: Morgen zu dem Treffen mit Jack gehen, das Geld übergeben und hoffen, dass es ihm nichts ausmacht, wenn ein bisschen was fehlt.«
»Und dass er uns tatsächlich nicht umbringt.«
»Genau. Aber wenn er uns am Leben lässt, haben wir’s geschafft. Keine Cops, kein Anwalt und so weiter. Und schuldenfrei sind wir auch.«
»Das ist im Moment meine geringste Sorge.«
»Ich bin doch nicht gierig, Liebling. Glaubst du etwa, ich will unbedingt im Nerz rumlaufen? Ich will nur –«
»Ich weiß«, sagte Tom mit müder Stimme. »Das weiß ich doch.«
»Zweite Möglichkeit: Wir gehen zur Polizei.« Anna blieb stehen und legte den Kopf zur Seite. »Und wenn wir gleich jetzt zur Polizei gehen? Die Cops könnten das Einkaufszentrum umstellen und Jack festnehmen.«
Tom schüttelte den Kopf. »Wir können uns nicht sicher sein, dass er selbst da ist. Er arbeitet nicht allein. In der Wohnung, als du gekommen bist, hat ihm irgendwer eine SMS geschickt, um ihn zu warnen. Außerdem … wenn er die Sache tatsächlich persönlich durchzieht, hat er sicher ein gutes Auge für Cops. Er würde sie erkennen.«
»Und? Selbst wenn sie ihn nicht erwischen – wenn er die Cops sieht, weiß er, dass wir das Geld nicht mehr haben.«
»Genau. Und eben meinte er, dass er uns tötet, wenn wir mit dem Geld zur Polizei rennen.«
Anna atmete hörbar aus, schloss die Augen und nahm ihre Runden zwischen Bett und Tür wieder auf.
Nach einer langen Pause sagte Tom: »Trotzdem, wahrscheinlich wäre es das einzig Richtige. Zur Polizei gehen und alles gestehen. Mit diesem Räuber- und Gendarm-Spiel aufhören und einfach hinnehmen, was wir verdient haben.«
So wie er es sagte, klang es, als hätten sie beim Einparken eine Delle ins benachbarte Auto gefahren. Aber konnte es wirklich so simpel sein? »Das einzig Richtige ist das, was uns in Sicherheit bringt.«
»Die Polizei würde uns beschützen.«
»Und wenn sie Jack nicht erwischen? Wenn er für ein, zwei Jahre untertaucht? Ins Zeugenschutzprogramm werden sie uns kaum aufnehmen.«
Tom zog einen Stuhl heran, setzte sich und legte die Beine übereinander. »Egal, ob wir zu den Cops gehen oder nicht, in der Scheiße sitzen wir immer. Warum hauen wir also nicht einfach ab? Zum Beispiel nach Detroit, wie du gesagt hast?«
»Und das Haus? Dein Job?«
»Ich find schon was Neues. Das Haus können wir verkaufen, dazu müssen wir nicht vor Ort sein. Wir würden fürs Erste mieten statt kaufen, unter falschem Namen leben –«
»Und wie kommen wir an gefälschte Ausweise? Wie sollen wir Jobs finden oder ein Konto eröffnen, wenn wir keine Sozialversicherungsnummer haben? Ich weiß nicht, wie man das alles hinbekommt. Außerdem…«, sie zuckte die Schultern, »sind wir hier zu Hause. Sara lebt hier, unsere Freunde leben hier.«
Tom seufzte. Und nickte.
»Es muss eine Möglichkeit geben«, sagte Anna. »Das ist unser Leben, es darf nicht einfach so den Bach runtergehen. Das ist nicht fair.«
»Fair?« Tom schnaubte. »Können wir uns bitte auf eines einigen? Hören wir endlich auf, die verdammten Opfer zu spielen! Wir haben das Geld genommen. Und damit hat alles angefangen. Punkt.«
»Trotzdem. Es muss eine Möglichkeit geben.«
»Ich wüsste nicht, welche. Und selbst wenn wir die Übergabe morgen überstehen, haben wir’s noch lange nicht geschafft. Wir müssen immer noch –« Tom erstarrte und riss die Augen auf.
»Was?« Anna sah ihn an und blickte schnell über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie nach wie vor allein waren. »Was ist?«
Lange Zeit starrte Tom mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne – wie immer, wenn er etwas austüftelte. Als er sein Schweigen endlich brach, klang seine Stimme ruhig und nachdenklich. »Ich glaub, ich hab da eine Idee.«
16
Zuerst spürte er ein Hochgefühl, einen plötzlichen Energieschub. Wie wenn man über einer kniffligen Denksportaufgabe brütet – und dann macht es plötzlich Klick, sobald man kapiert, dass zwei Brüder zugleich eineiig und nicht Zwillinge sein können – weil es sich nämlich um Drillinge handelt. Dasselbe scheinbar unlösbare Problem, aber aus einer ganz neuen Perspektive betrachtet.
Tom überprüfte
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