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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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alles viel zu schnell. Er dachte an den Mann im Trikot, an den Moment, in dem er begriffen hatte, dass sie hier einfach nicht mithalten konnten. Vielleicht sollte er Halden alles sagen und die Cops anrücken lassen. Eine verlockende Vorstellung – die Verantwortung abgeben, ihr Schicksal in die Hände der Profis legen.
    »Mr. Reed?«
    Tom öffnete den Mund, als es in der Leitung piepte. Er nahm das Telefon vom Ohr, um aufs Display zu schauen: noch eine Nummer, die er nicht kannte.
    »Tom, ich weiß, dass Sie Angst haben. Lassen Sie mich Ihnen helfen.«
    Sein Puls pochte so stark, dass das Einkaufszentrum vor seinen Augen verschwamm. »Tut mir leid. Ich rufe Sie bald zurück. Versprochen.«
    »Warten S –«
    Tom legte auf und nahm das andere Gespräch an. Eine vertraute Stimme ertönte. »Mit wem hast du dich da unterhalten, Tom?«
     
    Anna sah, wie Tom zusammenzuckte, wie seine Augen umherirrten. Seine Lippen formten das Wort Jack , bevor er sagte: »Niemand.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Okay, es war meine Mutter. Zufrieden? Ich hab sie so schnell wie möglich abgewimmelt.«
    Ihr Herz trommelte in ihrer Brust, ihre Finger krampften sich um das Geländer. Ich bin das hellblaue Licht.
    »Da kennen Sie meine Mutter aber schlecht«, sagte Tom.
    Sie blickte nach links, zum Kino. Ein gelangweilter Student hing hinter dem Ticketschalter herum, neben Plakaten für Arthouse-Filme und einer Bank, auf der eine alte Dame saß. Wenn es brenzlig wurde, konnten sie sich dorthin flüchten. Eine Bewegung in ihrem Augenwinkel ließ sie aufschrecken  – eine Etage tiefer lief der Cop an einem Schaufenster vorbei. Weiter rechts lag das Treppenhaus, in dem der Typ im Trikot verschwunden war.
    »Wir verlassen die Mall nicht. Auf keinen Fall«, meinte Tom.
    Auf dem Soundsystem lief Popmusik, genauso dümmlich wie durchdringend, ein blöder Song von irgendeiner Boyband, in dem es immer wieder hieß: »Bye bye, Baby, bye bye.« Ein Geruch von abgestandenem Popcorn lag in der Luft.
    »Okay«, sagte Tom und legte auf. »Er will uns im Erdgeschoss treffen, vor dem Friseursalon. Wir sollen nicht den Fahrstuhl nehmen.« Tom warf einen Blick über die Schulter, bevor er ihr das Telefon reichte. »Du musst die SMS an Andre abschicken. Ich krieg das nicht hin, wenn ich gleichzeitig die Tasche in der Hand habe.«
    »Ich könnte doch –«
    »Jack würde niemals glauben, dass ich sie dich tragen lasse.«
    Anna biss sich auf die Lippen. Sie wusste, dass er Recht hatte. Also steckte sie die Hand mit dem Telefon in die Tasche, den Finger bereits auf der richtigen Taste. Ich bin das hellblaue Licht. »Gehen wir.«
    Sie betraten das Treppenhaus, Tom einen Schritt voraus. Aus dem vierten Stock wurde langsam der dritte. Annas Augen suchten die Umgebung im Schnelldurchlauf ab, nach Jack, nach Andre, nach irgendwem, während der Sänger der Boyband bekanntgab, dass er nicht bei einem Spiel für zwei mitspielen wollte, was auch immer das bedeuten sollte. Noch drei Stockwerke. Keine Spur von Jack, aber dafür zahllose andere Leute: eine Traube Teenager vor dem Fahrstuhl, eine Reihe Frauen, die vor dem Express-Shop standen und Kleider befingerten, ein Verkäufer, der sich in seiner Pause in einen Roman vertieft hatte. Noch zweieinhalb Stockwerke. Anna stellte fest, dass sie über die Frau mit dem Kinderwagen nachdachte. Ob ihr klar war, wie viel Glück sie hatte? Ob das irgendjemandem klar war, bevor es aus war mit dem Glück? Das Leben konnte so schnell vor die Hunde gehen.
    Genau das dachte sie, als Jack Witkowski vor ihnen durch die Tür zum Treppenhaus trat.
     
    Auf Jack wirkten die beiden aufgewühlt, ja geradezu bis zum Zerreißen angespannt. Anna war besonders durch den Wind – sie hatte die Hände in den Taschen und blickte sich panisch um. Perfekt.
    Jack lächelte und deutete auf die Sporttasche in Toms Hand. »Das ist wohl für mich?«
    Toms Augen huschten hin und her wie ein Kaninchen, das nach einem Versteck sucht. Er wich einen Schritt zurück.
    »Ich dachte, du willst –«
    »Was du dachtest, ist egal, Vollidiot. Mach die Tasche auf.«
    Tom Reed stand stocksteif da.
    »Tom.« Jack öffnete den Reißverschluss des Overalls, bis das Schulterhalfter mit der Waffe zu erkennen war. »Mach die Tasche auf.«
    »Du wirst nicht schießen. Schließlich sind wir hier in der Öffentlichkeit.« Der Typ sprach, als würde er aus einem Vertrag zitieren – wie ein Kind, das sich auf dem Spielplatz über die schummelnden Kameraden

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