Im Augenblick der Angst
ein bisschen shoppen«, sagte der Mann im Trikot, marschierte direkt an ihnen vorbei und stieß die Tür zum Treppenhaus auf. »Wenn du Lust hast –« Die zufallende Tür schnitt den Satz ab.
Erst jetzt, als sie mit einem langen, schmerzhaften Pfeifen ausatmete, bemerkte Anna, dass sie die Luft angehalten hatte. Die Umgebung drehte sich, sie musste sich am Geländer abstützen. Auch Tom sackte in sich zusammen, ließ die Tasche auf den Boden fallen und rieb sich die Stirn. Der Kinderwagen fuhr an ihnen vorbei, ein Rad quietschte leise, die Mutter warf Anna ein Lächeln zu. Sie hielt sich mit beiden Händen am angenehm kühlen Geländer fest und sah zu, wie die Leute ihrer Wege gingen. »Ich kann das nicht.«
Tom legte eine Hand auf ihren Arm. »Wir haben es fast geschafft. Nur noch ein paar Minuten.«
»Ich kann das nicht. Ich kann das einfach nicht. Was, wenn jemand verletzt wird?« Sie schnappte nach Luft. »Ich dachte … dieser Typ …«
»Ich weiß«, sagte Tom in beruhigendem Tonfall. »Wir sind beide nervös. Aber es wird schon klappen. Es wird schon nichts schiefgehen.«
»Das ist nicht dein Ernst, oder? Wo warst du die letzten paar Tage? Los, hauen wir hier ab, gehen wir zur Polizei.« Sie starrte in die Tiefe, auf die unteren Etagen. »Moment. Da unten ist ein Cop. Am besten gehen wir gleich zu ihm und sagen –«
»Sagen was?« Toms Stimme klang wie eine Ohrfeige. »Dass wir hier sind, um einen Dieb an einen Dealer auszuliefern, damit er ihn entführt und zu Tode foltert und wir unser gestohlenes Geld behalten können? Der würde uns doch für verrückt erklären.« Er schüttelte den Kopf. »Oder schlimmer noch, er könnte uns glauben.« Tom fasste ihr mit der unverletzten Hand an die Schulter. »Wenn wir das versauen, wird Malachi uns umbringen. Falls Jack ihm nicht zuvorkommt. Wir müssen es schaffen. Nur noch ein paar Minuten. Okay?«
Sie blickte in sein Gesicht, auf den vorgeschobenen Kiefer, die geweiteten Augen. Er hatte genauso viel Angst wie sie, aber er kämpfte dagegen an. Sie richtete sich auf und versuchte, ihre Atmung wie beim Yoga einzustellen – durch die Nase einatmen, langsam und gleichmäßig durch den Mund ausatmen und sich dabei vorstellen, wie einen die Luft mit hellblauem Licht füllt. Einatmen, halten, ausatmen. Ich bin das Zentrum der Stille.
Ich bin das hellblaue Licht.
Breite Rohre zogen sich die Ecke hinauf. Ein Schild neben dem Ausgang informierte ihn darüber, dass er sich im westlichen Treppenhaus befand, Erdgeschoss. Jack blickte durch die verglaste Tür auf die Mall mit ihrer breiten Rampe, die sich spiralförmig in die Höhe wand. Ein brünettes Mädchen in einem T-Shirt mit der Aufschrift »Porn Star« spazierte knapp einen Meter entfernt an ihm vorbei, ohne ihn wahrzunehmen. Jack lächelte. Man musste sich nur Arbeitskleidung anziehen und im Treppenhaus rumlungern, und schon war man unsichtbar. Als wäre man ein Mexikaner.
Er streckte gerade die Hand nach dem Türgriff aus, als sein Handy vibrierte. »Ja?«
»Moment.« Marshall sprach leise.
»Was ist?«
»Ich weiß nicht. Aber irgendwas stimmt da nicht. Ich geh näher ran.«
»Wo sind sie?«
»Vierter Stock, nordwestliche Ecke. In der Nähe vom Kino. Sie haben eine Tasche dabei. Soll ich sie einfach –«
»Nein. Halt dich an den Plan.« Jack legte auf und spähte wieder durch die Glasscheibe. Was machst du für Sachen, Tom?
Er öffnete den Reißverschluss des Overalls ein Stück weit, holte das Handy heraus und wählte.
Toms Telefon klingelte. Die Nummer auf dem Display kannte er nicht. Bevor er das Handy aufklappte, atmete er tief ein. »Hallo?«
»Mr. Reed? Hier ist Detective Halden. Wo waren Sie denn die ganze Zeit? Nach unserer letzten Unterhaltung –«
Scheiße, scheiße, scheiße! »Detective, jetzt passt es wirklich überhaupt nicht.«
Eine Pause. »Sind Sie in Gefahr? Ist der Dealer bei Ihnen?«
Tom warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr: zwei nach zehn. »Nein, nein. Es ist nur –« Er blickte sich um, todsicher, dass Jack jeden Moment mit seiner riesigen Pistole in der Hand auftauchen würde. »Ich kann jetzt wirklich nicht reden.«
»Hören Sie, was auch immer Sie da gerade tun, das hier ist wichtiger. Dieser Typ wird nach Ihnen suchen, und Sie werden ihn nicht kommen sehen. Bitte sagen Sie mir, wo Sie sind, dann bin ich in zehn Minuten bei Ihnen. Ich kann Sie beschützen.«
Tom zögerte. Das Schaufenster des Kofferladens war verwaist. Wo war Andre? Das ging
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