Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)
es so. Denn hätte Timothy nicht das unscheinbare Flackern einer Kerze entdeckt, wäre er niemals auf den Gedanken gekommen, dass hier überhaupt jemand wohnte, geschweige denn der einflussreichste Mann des Lemurischen Reiches.
Eine gewaltige Wurzel war aus dem Erdreich gebrochen und überspannte fast die gesamte Front des Hauses. Wie Arme hatten sie das Mauerwerk umschlossen, und nur hier und da blitzte die weiß getünchte Fassade unter dem knorrigen Holz hervor. Als hätte die Wurzel die Aufgabe, das Haus zu schützen. Weit in beide Richtungen der Gasse streckte sie ihre Fortsätze und war an einigen Stellen so gewaltig, dass Timothy eine Leiter gebraucht hätte, um sie zu überwinden. Ratlos suchte er nach einer Tür, nach einem kleinen Durchschlupf oder zumindest nach einem Wächter, der ihn anmelden konnte.
»Und jetzt? Wie kommen wir hinein?«, wandte er sich verzweifelt an den Druidenstab, der inzwischen wieder eingeschlafen war.
Der Stab blinzelte kurz, brummte: »Nicht meine Aufgabe«, und schnarchte gleich darauf leise.
»Wer verlangt Einlass?«
Timothy blickte zu allen Seiten.
»Hier oben!«, rief es erneut, das hieß, es war mehr ein Uhuhen. »Oder glaubt Ihr etwa, so wie Ihr den Boden absucht, Eulen sitzen in einem Erdloch? Also, wer verlangt den Hohen Dan zu sprechen?«
Timothy legte seinen Kopf in den Nacken und blickte in zwei eng zusammenstehende, gelbe Augen. »Äh – bitte – entschuldigt die Störung um diese Zeit«, begann er unsicher.
»Ein guter Wächter fühlt sich niemals gestört«, rief es sogleich zu ihm herab. »Mir persönlich liegt die Nacht sowieso mehr als der Tag. Jetzt ist es stiller, und man hört jedes Piepen einer Maus«, plauderte es weiter aus dem Wurzelwerk, und Timothy erkannte tatsächlich die Kontur einer Eule an ihren spitz abstehenden Ohren. »Nicht, dass ich meinen Posten verlassen würde, um den kleinen Nagern nachzujagen, aber von hier oben –«
»Meldet doch bitte Timothy von den Liberen an«, beeilte sich Timothy zu sagen.
»Was ist Euer Anliegen?«, uhute es zurück. Diesmal klang es sehr viel förmlicher, und Timothy schwante, dass er nicht so einfach vorgelassen werden würde.
»Es ist privat«, antwortete er entschieden und versuchte, seiner Stimme eine gewisse Autorität zu verleihen. »Ich muss dem Ältesten eine wichtige Nachricht überbringen.«
Die Eule trat aus dem Schatten der Wurzel hervor und beugte ihr Haupt, um einen prüfenden Blick auf den nächtlichen Besucher zu werfen. Dann schüttelte sie bestimmt den Kopf. »Ich werde den Hohen Dan nicht wegen irgendeines privaten Geplänkels wecken.«
»Aber es ist wirklich ungeheuer wichtig! Es geht vielleicht um Leben und Tod!«, rief Timothy dem unnachgiebigen Wächter verzweifelt zu, der sich jedoch weiterhin unbeeindruckt gab.
»Immer ist alles ungeheuer wichtig! Tut mir leid. Ich kann nichts für Euch tun.«
Timothy stieß einen leisen Fluch aus. So würde er nicht weiterkommen, er musste seine Tarnung aufgeben.
Wachsam blickte er zu beiden Seiten, streckte sich nach oben und zischte: »Verdammt! Meldet mich an! Ich bin der Mensch!«
»Ah!«, kam es nur zurück, und die Eule verschwand ohne weiteres Aufheben in dem Wurzelgeflecht.
Erleichtert seufzte Timothy auf, strich flüchtig sein zerzaustes Haar glatt und bemühte sich, den Saum seines immer noch triefenden Umhang auszuwringen, unter dem das Buch nach wie vor schlotterte.
Noch bevor er ihn wieder glattstreichen konnte, ächzte und knirschte es vor ihm und zwei sich überschlingende Wurzeln glitten auseinander, um eine schlichte Holztür freizugeben.
Timothy blieb keine Zeit, sich zu wundern, denn einen Moment später stand Darius vor ihm, gerade wie eine Kirchenkerze, in ein einfaches Leinengewand gehüllt, und sah ihn durchdringend an.
»Timothy! Heilige Kletterwurzel, ist der Eimer gekippt? Du bist ja vollkommen durchnässt!«, rief er und befühlte kurz dessen schlotternden Körper. »Komm nur rein. Ich werde dir etwas Trockenes zum Anziehen geben. Setz dich gleich ans Feuer. Komm!«
»Äh, ja, danke, Sir«, stammelte Timothy, mehr als verdutzt über den freundlichen Empfang, da es ihm doch strengstens untersagt war, irgendeinen Kontakt zum Ältestenrat aufzunehmen.
Erleichtert folgte er dem Ältesten in ein behagliches Wohnzimmer und versuchte, nicht weiter auf das laute Knirschen der sich wieder verschlingenden Wurzeln zu achten.
Darius ging zu einer großen Runddeckeltruhe, aus der er eine flauschige Decke sowie
Weitere Kostenlose Bücher