Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)
Mensch mehr trinken. Ein … Château … Mouton Rothschild von 1929 … Der ist ja uralt – und sehr staubig.« Er hustete und wischte sich die grauen Flocken von der Nasenspitze. »Meinst du wirklich, die wird noch getrunken? Ich könnte sie mitnehmen und den Vinen zum Kauf anbieten, die sind nicht wählerisch.«
»Loo, verdammt, ich friere«, schimpfte Timothy ungehalten. »Nun lass uns los, oder ich gehe wieder ins Bett! Übrigens, hast du schon eine Idee, wie du die Haustür aufbekommen willst?«
»Haustür?« Loo sah seinen Freund erstaunt an. »Ich sagte dir doch, dass wir unter der Erde leben. Natürlich können wir in einige eurer Häuser aber niemals ins Freie. Es ist für uns absolut unmöglich, unter freien Himmel zu treten.«
»Da sind wir schon zu zweit. Und – warum kannst du nicht raus?«, fragte Timothy in der Hoffnung, diesmal eine glaubhafte Antwort zu bekommen, auch wenn er sich insgeheim danach sehnte, dass es tatsächlich eine andere Welt gab. Immerhin würde das bedeuten, keiner von ihnen hatte den Verstand verloren.
»Ich würde mich auflösen, der Bann eben«, erwiderte sein Freund nur, als ob damit alles klar wäre.
»Was ist mit diesem?« Loo hielt ihm eine dunkelgrüne Flasche unter die Nase.
»Von mir aus, nimm ihn mit«, murmelte Timothy ergeben, setzte sich auf einen wackligen Schemel und rieb sich die kalten Hände.
»Wirklich? Bist du sicher? Das ist ja ein nagelneuer Wein, erst vom letzten Jahr …«
»Ich bin mir sicher, dass mir die Hände abfrieren, wenn –«
»Psst!« Loo bedeutete Timothy zu schweigen.
Von draußen drang die Glocke der Turmuhr zu ihnen, und Loo zählte die Schläge. Es waren zwölf.
»Es ist soweit!«, rief Loo aufgeregt und stopfte hastig die Weinflasche unter seine Zipfelmütze.
»Was ist soweit?«
»Sie öffnen das Portal nur einmal am Tag, das bedeutet, jede Stunde nach eurer Zeitrechnung«, sagte er, während er seine ausgebeulte Hosentasche durchsuchte, um neben einer klebrigen Zuckerstange eine zerrupfte Blume zutage zu fördern. »Hier, iss das! Gut kauen, bis sie richtig bitter schmeckt, und dann schlucken, egal wie ekelhaft es ist«, wies er ihn an. »Nun, mach schon, Timothy, es schließt sich bald wieder … runter damit!«
Timothy sah seinen Freund mit gerunzelter Stirn an.
»Das ist eine Schlüsselblume«, erklärte Loo ungeduldig. »Ohne sie kannst du unsere Welt nicht betreten. Du könntest weder das Portal sehen noch hindurchgehen. Die Blume ist sehr selten, wir haben nicht viele davon. Sie ist quasi der Schlüssel von eurer zu unserer Welt – eine Schlüsselblume eben.«
Selten? Timothy meinte sich zu erinnern, dass die Pflanze an jedem Straßenrand zu finden war, aber sei's drum. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Loo zu vertrauen, wenn er herausfinden wollte, ob der die Wahrheit sagte. Also schob er sich die Pflanze kurzentschlossen in den Mund und fing an zu kauen. Sie schmeckte gar nicht mal so übel, irgendwie süßlich.
Loo sah ihn erwartungsvoll an.
Verbissen kaute Timothy auf dem faserigen Stiel herum, bis der tatsächlich langsam bitter wurde. Und als der Geschmack nicht mehr zu ertragen war, schluckte er geräuschvoll. »Ist ja widerlich. Und was jetzt?«
»Mach dir nichts draus. So lange wir noch nicht permatieren können, müssen auch wir sie essen. Ist noch keiner dran gestorben – glaube ich«, entgegnete Loo.
»Permatieren?«
»Durch feste Materie gehen, wie Stein oder Glas. Wer lange übt, kann sogar durch Metall permatieren.«
»Ist klar«, sagte Timothy und zog einen faserigen Rest der Schlüsselblume zwischen seinen Schneidezähnen durch. Plötzlich spürte er heftige Übelkeit in sich aufsteigen.
»Tut mir leid«, meinte Loo, anscheinend wusste er aus Erfahrung, wie Timothy zumute war. »Aber glaub mir, ist sicherer so. Selbst bei den Jung-Lemuren passiert ständig was. Ohne Schlüsselblume bleiben sie laufend in den Wänden stecken, und es ist jedes Mal ein ziemlicher Aufwand, sie wieder herauszubekommen. Erst vor ein paar Tagen musste eine ganze Tunnelwand eingerissen werden, nur weil zwei junge Bellaren Fangen gespielt hatten und einer ohne Blume in die Wand geflüchtet war. Merkst du schon was?«
Timothy saß zusammengekrümmt auf dem Schemel und sah wütend hoch. »Ja, mir ist speiübel!«
»Man sollte schon ein paar Jahre üben, bevor man ohne Schlüsselblumen durch Wände geht«, erklärte Loo weiter, ohne auf Timothys zornigen Blick einzugehen, »aber spätestens mit Hundertfünfzig
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