Im Bann der Dunkelheit
erklang das schneidende Geräusch von Flügeln, die die Luft wie Krummsäbel durchtrennten. Ich schaute auf und duckte mich reflexartig, weil ein Schwarm Vögel in enger Formation dicht über mich hinwegflog, um dann vor mir in der Nacht zu verschwinden.
Ihre Geschwindigkeit und die Dunkelheit verhinderten, daß ich erkennen konnte, welcher Art sie angehörten. Es mochte sich jedoch um die geheimnisvolle Schar handeln, die sich in dem Baum niedergelassen hatte, von wo aus ich Bobby angerufen hatte.
Als ich das Ende der Häuserreihe erreichte, flogen die Vögel in einem Kreis über die Kreuzung, als wollten sie dort warten, bis ich sie eingeholt hatte. Es waren zehn oder zwölf, jedenfalls mehr, als in dem großen Baum über mir gelauert hatten.
Ihr Verhalten war eigentümlich, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß sie mir irgendwie Schaden zufügen wollten.
Selbst wenn ich mich irrte und sie eine Gefahr für mich darstellten, würde es nichts bringen, ihnen auszuweichen. Sobald ich einen anderen Weg einschlug, würden sie mir problemlos folgen können. Als sie über das Antlitz des sinkenden Mondes flogen, nun deutlich langsamer als zuvor, konnte ich sie halbwegs als Nachtfalken bestimmen. Da diese Vögel nach meinem Tagesablauf leben, bin ich mit dieser Spezies vertraut, die auch als Ziegenmelker bekannt ist und siebzig Unterarten umfaßt, darunter auch den Whippoorwill.
Nachtfalken ernähren sich von Insekten - Motten, fliegenden Ameisen, Moskitos, Käfern - und fressen ihre Beute im Flug. Sie schnappen sich ihre Häppchen aus der Luft, schießen pfeilschnell hin und her und weisen mit ihren Sturzflügen und den schnellen Richtungsänderungen ein einzigartiges Flugmuster auf, an dem allein man sie schon erkennen kann.
Der Vollmond bietet ihnen ideale Voraussetzungen für ein Festmahl, weil in seinem Leuchten Fluginsekten besser auszumachen sind. Normalerweise sind Nachtfalken bei solchen Bedingungen ohne Unterbrechung mit der Nahrungssuche beschäftigt, und ihre schrillen, surrenden Rufe durchschneiden die Nacht.
Die Mondlampe am Himmel, die im Augenblick nicht von Wolken verdeckt wurde, gewährleistete also eine gute Jagd, und doch schienen diese Vögel diese idealen Bedingungen nicht nutzen zu wollen. Gegen ihren Instinkt handelnd, vergeudeten sie das Mondlicht und flogen monoton in einem Kreis von etwa zehn, fünfzehn Metern Durchmesser immer wieder über die Kreuzung. Die meisten flogen hintereinander in einer Reihe, nur drei Paare flogen nebeneinander, und keiner machte auf Insekten Jagd oder stieß auch nur einen einzigen Schrei aus.
Ich überquerte die Kreuzung und ging weiter.
In der Ferne erstarb abrupt das Motorengeräusch. Wenn es Bobby war, mußte er unseren Treffpunkt erreicht haben.
Ich hatte bereits ein Drittel der nächsten Häuserreihe hinter mir gelassen, als der Schwarm mir auf einmal folgte. Die Vögel flogen etwas höher als zuvor, aber noch immer so tief über mich hinweg, daß ich unwillkürlich den Kopf einzog.
Als ich die nächste Kreuzung erreichte, hatten sie wieder ihr Vogelkarussell gebildet - wenn auch ohne Dampfpfeifenorgel - und kreisten zehn Meter über mir. Obwohl jeder Versuch, sie zu zählen, zu einem schlimmeren Schwindelanfall geführt hätte als der Genuß einer Flasche Tequila, war ich mir sicher, daß die Zahl der Falken mittlerweile noch größer geworden war.
Während der nächsten beiden Häuserreihen schwoll die Größe des Schwarms weiter an, bis es gar nicht mehr nötig war, die Vögel zu zählen, um die Zunahme festzustellen. Als ich die dreistrahlige Kreuzung erreichte, in der die Straße endete, kreisten mindestens einhundert Vögel leise über mir.
Zum größten Teil flogen sie nun paarweise, und außerdem bestand dieser fliegende gefiederte Ring aus zwei Ebenen, der eine zwei, drei Meter höher als der andere.
Ich blieb stehen und sah wie gebannt nach oben. Dank des Zirkus mit den vielen Manegen zwischen meinen Ohren kann ich die kleinste beunruhigende Beobachtung machen und daraus einen Schrecken katastrophaler Proportionen extrapolieren. Doch obwohl die Vögel mich langsam entnervten, glaubte ich noch immer nicht, daß sie eine Bedrohung für mich darstellten. Ihr unnatürliches Verhalten war zwar ominös, ohne aber gleichzeitig auf Aggression hinzudeuten. Dieses Luftballett, das in seiner Choreographie eintönig, aber trotzdem unbeschreiblich anmutig war, hätte eine Stimmung auslösen können, die so heiter und unverwechselbar war wie beim
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