Im Bann der Dunkelheit
Einkaufszentrum und Kino befinden sich an den entgegengesetzten Enden der langen Straße. Dazwischen fand man früher einen Friseur, eine Reinigung, einen Blumenladen, eine Bäckerei, eine Bank, das Casino der normalen Soldaten, das Offizierscasino, eine Bibliothek, eine Spielhalle, einen Kindergarten, eine Grundschule, ein Fitneßzentrum und weitere Geschäfte - die nun alle leer standen. Ihre Schilder waren schon längst verblichen und verwittert.
Diese ein- und zweistöckigen Gebäude sind schlicht, erfreuen aber gerade wegen ihrer Einfachheit das Auge: weiße Schindeln, gestrichene Betonblöcke, simpler Außenputz. Die funktionelle Natur der Militärbauweise, kombiniert mit der Kargheit der Depressionszeit - die 1939, als der Stützpunkt in Betrieb genommen wurde, jedes Bauvorhaben bestimmte ., hätte zu einem häßlichen industriellen Aussehen führen können. Aber die Architekten der Army und die Bauarbeiter hatten sich bemüht, Gebäude mit einer gewissen Anmut zu errichten, und sich auf solche grundlegenden Elemente wie harmonische Linien und Winkel, rhythmische Fensterplazierungen und unterschiedliche, aber einander ergänzende Dachkanten verlassen. Das Kino ist so bescheiden wie die anderen Gebäude, und seine Frontmarkise ruht immer noch über dem Eingang. Ich weiß nicht, welcher Film als letzter hier gezeigt wurde oder gar welche Schauspieler darin mitgewirkt haben. Nur drei schwarze Plastikbuchstaben sind auf der Anzeigetafel verblieben, auf der Titel und Besetzung bekanntgegeben wurden, und bildeten ein einziges Wort: WER
Obwohl das abschließende Satzzeichen fehlte, deute ich diese rätselhafte Botschaft als verzweifelte Frage, die sich auf den genetischen Schrecken bezieht, der in irgendwelchen verborgenen Laboratorien auf diesem Gelände ausgebrütet wurde. Wer bin ich? Wer bist du? Wer werden wir sein? Wer hat uns das angetan? Wer kann uns retten?
Wer? Wer?
Bobbys schwarzer Jeep stand vor dem Kino. Das Vinyldach und die Seiten waren nicht am Fahrgestell und den Überrollbügeln befestigt, so daß das Fahrzeug der Nacht offen ausgeliefert war.
Als ich mich dem Jeep näherte, versank der Mond im Westen hinter den Wolken. Er befand sich dem Horizont mittlerweile so nahe, daß er wahrscheinlich nicht mehr auftauchen würde, aber trotzdem konnte ich selbst aus einiger Entfernung erkennen, daß Bobby hinter dem Lenkrad saß.
Wir sind etwa gleich groß und schwer. Obwohl mein Haar blond ist und seines braun, obwohl meine Augen hellblau und seine so rabenschwarz sind, daß sie fast schon wieder blau aufblitzen, könnten wir als Brüder durchgehen. Seit unserem elften Lebensjahr sind wir die besten Freunde, vielleicht ähneln wir uns deshalb in vielerlei Hinsicht. Wir stehen und sitzen mit derselben Haltung und bewegen uns mit derselben Gangart; das liegt wahrscheinlich daran, daß wir so oft surfen und dabei die Bewegungen des Meers übernommen haben. Sasha beharrt darauf, daß wir eine katzenhafte Anmut besäßen, was uns meines Erachtens zu sehr schmeichelt, doch ganz egal, wie katzenhaft wir nun sind oder nicht, keiner von uns trinkt Milch von einer Untertasse oder zieht ein Katzenklo einer Toilette vor.
Ich ging zur Beifahrerseite, hielt mich am Überrollbügel fest und schwang mich in den Jeep, anstatt die tiefliegende Tür zu öffnen. Ich mußte meine Füße neben eine kleine Kühltasche zwängen, die auf dem Boden vor dem Beifahrersitz stand. Bobby hatte Khakihosen an, einen langärmeligen weißen Baumwollpullover und ein Hawaiihemd - er besitzt keine anderen ., das er über dem dünnen Pulli trug.
Er trank ein Heineken.
Obwohl ich Bobby noch nie betrunken gesehen habe, sagte ich: »Ich hoffe, du bist nicht angeheitert.«
»Angeheitert ist nicht dumm oder häßlich«, erwiderte er, ohne den Blick von der Straße abzuwenden, womit er wohl meinte, man solle den Begriff niemals mit dem Wort .zu. verwenden.
Die Nacht war angenehm kühl, aber noch nicht sehr frisch, und so sagte ich: »Hast du ein Heinie für mich?«
»Nimm.s dir gefälligst selbst.«
Ich fischte eine Flasche aus der mit Eis gefüllten Kühltasche und drehte den Verschluß ab. Ich hatte gar nicht gewußt, wie durstig ich war. Mit dem Bier spülte ich den anhaltenden bitteren Geschmack aus meinem Mund.
Bobby schaute kurz in den Rückspiegel und richtete die Aufmerksamkeit dann wieder auf die Straße vor uns.
Zwischen den Sitzen lag, die Mündung zum Heck des Jeeps gerichtet, seine Schrotflinte.
»Bier und Knarren«,
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