Im Bann der Dunkelheit
verwirklichen, und sie damit aus jeglicher natürlicher Ordnung ausgegrenzt haben. Wenn das aber ihre Feindseligkeit und ihre Neigung zur Gewalt erklärt... warum sollte dann Orson, der ebenfalls außerhalb der natürlichen Ordnung steht, so anhänglich und gutherzig sein?
Er ist in einem Körper gefangen, der seiner gesteigerten Intelligenz nicht so gut dient, wie das ein Affenkörper täte. Er hat im Gegensatz zu den Affen keine Hände, und sein Sehvermögen ist verhältnismäßig schwach, wie das halt bei allen domestizierten Hunderassen der Fall ist.
Die Affen finden in der Truppe gemeinsam Trost und Halt, Orson dagegen muß seine schreckliche Einsamkeit allein ertragen. Es mögen zwar weitere Hunde geschaffen worden sein, die so intelligent wie Orson sind, ich bin jedoch bislang noch keinem solchen begegnet. Sasha, Bobby und ich lieben ihn, aber wir können ihm nicht genug Trost spenden, weil wir niemals wirklich seine Sicht der Dinge, seine Erfahrungen mit ihm teilen können. Da Orson, zumindest im Augenblick, einzigartig ist, lebt er mit einer tiefen Einsamkeit, die ich zwar wahrnehmen, aber niemals völlig erfassen kann, mit einer Einsamkeit, die ihn nicht einmal verläßt, wenn er unter seinen Freunden ist.
Vielleicht erklärt seine grundlegend hündische Natur, warum er nicht den Haß und Zorn der Affen teilt. Ich glaube, Hunde wurden in diese Welt gesetzt, um die Menschheit daran zu erinnern, daß Liebe, Treue, Hingabe, Mut, Geduld und gute Stimmung die Eigenschaften sind, die - gemeinsam mit Aufrichtigkeit - die Essenz eines vortrefflichen Charakters ausmachen und für ein vorbildlich geführtes Leben unabdingbar sind.
Im braven Orson sehe ich die zur Hoffnung berechtigende Seite der Arbeit meiner Mutter, das wirkliche Potential der Wissenschaft, Licht in eine oftmals dunkle Welt zu bringen, uns zu erhöhen, den Geist aufzurütteln und uns daran zu erinnern, daß das Universum ein Ort der Wunder und der unbegrenzten Möglichkeiten ist.
Meine Mutter hat in Wirklichkeit gehofft, Großes leisten zu können. Sie hat sich nur auf ein Projekt zur Entwicklung biologischer Waffen eingelassen, weil das die einzige Möglichkeit war, die beträchtlichen öffentlichen Mittel zu bekommen, die sie benötigte, um ihr Konzept eines genverspleißten Retrovirus zu verwirklichen, von dem sie glaubte, es könne eingesetzt werden, um zahlreiche Krankheiten und ererbte Funktionsstörungen zu heilen - nicht zuletzt auch mein XP.
Man sieht also, daß meine Mutter nicht ohne guten Grund an der Zerstörung der Welt mitgewirkt hat. Sie hat versucht, mir zu helfen. Und meinetwegen steht nun die gesamte Natur am Rand der Vernichtung. Mutterliebe wurde zur Ursache des unvorstellbarsten Schreckens.
Also... will irgend jemand über die widersprüchlichen Gefühle sprechen, die er seiner Mutter entgegenbringt?
Orson und ich sind ihre Söhne. Ich bin die Frucht ihres Herzens und Leibes. Orson ist die Frucht ihres Verstandes, sie hat ihn aber genauso geschaffen, wie sie mich geschaffen hat. Wir sind Brüder. Nicht nur bildlich gesprochen. Wir sind nicht durch Blut miteinander verbunden, sondern durch die Hingabe meiner Mutter, und in diesem Sinne teilen wir ein Herz.
Würde Orson irgend etwas passieren, würde ein Teil von mir sterben - der reinere Teil, der bessere Teil - und für immer tot bleiben.
»Wir müssen ihn finden«, sagte ich noch einmal.
»Hab Vertrauen, Bruder«, sagte Bobby.
Er griff nach dem Zündschlüssel. Bevor er noch den Motor anlassen konnte, erklang ein Geräusch, ein lauteres als das sanfte Flattern der Millionen Blätter in den Bäumen. Und es wurde von Sekunde zu Sekunde lauter.
Bobby legte eine Hand an die Smith & Wesson, die er auf dem Schoß hatte.
Ich ließ meine Pistole stecken, weil ich wußte, was ich da hörte. Das Schlagen von Schwingen. Vieler Schwingen. Wie Schindeln des Himmelsdachs, die der Wind abgerissen hat, kam der stumme Schwarm aus der Nacht heran, stürzte mehr als einen halben Straßenzug entfernt mit einem Klappern und Wirbeln der Flügel herab, flog dann direkt über der Fahrbahn, folgte so der Straße und raste in unsere Richtung.
Die hundert Vögel, die ich zuvor gesehen hatte, waren mit Sicherheit Teil dieser Erscheinung, aber weitere hundert hatten sich zu ihnen gesellt, vielleicht sogar zweihundert.
Bobby entschied sich gegen den Revolver und riß die Flinte hoch, die zwischen den Sitzen lag.
»Immer mit der Ruhe«, sagte ich.
Er bedachte mich mit einem unverständigen
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