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Im Bann der Dunkelheit

Im Bann der Dunkelheit

Titel: Im Bann der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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fotografische Erinnerung an das Gesicht meiner Mutter. So weise. So freundlich.
    Das Bild von ihr verschwamm wieder. Alles um mich herum verschwamm einen Augenblick lang, die Straße und auch das Kino. Ich atmete erst flach ein, was einen scharfen Schmerz in der Brust hervorrief, und dann tiefer, was aber nicht mehr so weh tat, und wischte mir mit dem Jackenärmel über die Augen.
    Meine Herkunft verlangt es, daß ich alles, was hier geschieht, bezeugen muß, eine Verantwortung, die ich nicht abschütteln kann. Vor dem Sonnenlicht hüte ich mich, aber das Licht der Wahrheit darf ich nicht meiden, ein Licht, das ebenfalls brennt, aber eher kühlt als zerstört.
    Ich drehte mich um und betrachtete den verstummten Schwarm.
    Hunderte kleiner Vögel lagen überall auf dem Bürgersteig.
    Nur ein paar Flügel zitterten noch schwach, aber mit schnell verbleichendem Leben. Die meisten waren so hart aufgeprallt, daß ihre zerbrechlichen Schädel dabei zerschmettert worden waren und sie sich die Hälse gebrochen hatten.
    Da es sich von außen um ganz normale Nachtfalken zu handeln schien, fragte ich mich, welche innere Veränderung in diesen Vögeln vorgegangen war. Der Unterschied war mit bloßem Auge zwar nicht auszumachen, aber offensichtlich so tiefgreifend, daß sie ihre weitere Existenz für unerträglich gehalten hatten.
    Oder aber... ihr Kamikaze-Sturzflug war gar kein bewußter Akt gewesen. Vielleicht resultierte er nur aus einer Störung ihres Richtungssinns, aus einer Massenblindheit oder aus Hirnschäden.
    Nein. Wenn man ihre ausgefeilten Flugkunststücke in Betracht zog, mußte man davon ausgehen, daß die Veränderung weitreichender, geheimnisvoller und bedrohlicher als eine bloße körperliche Funktionsstörung war.
    Neben mir stotterte der Motor des Jeeps, sprang an, dröhnte kurz auf und lief dann ruhig im Leerlauf, als Bobby den Fuß vom Gaspedal nahm.
    Ich hatte gar nicht mitbekommen, daß er hinter das Lenkrad gerutscht war.
    »Bruder«, sagte er.
    Auch wenn die Selbsttötung des Vogelschwarms in keinem direkten Zusammenhang mit Orsons Verschwinden oder der Entführung von Jimmy Wing stand, unterstrich sie, wie dringlich es war, den Hund und den Jungen zu finden.
    Dieses eine Mal in seinem Leben schien Bobby zu spüren, wie das Lösungsmittel der Zeit ihn durchfloß, davonwirbelte wie Wasser in einen Gully und irgendeine aufgelöste Essenz mit sich trug.
    »Fahren wir ein bißchen rum«, sagte er mit einem ernsten Gesichtsausdruck, der seinen gelassenen Tonfall und die Beiläufigkeit des Gesagten Lügen strafte.
    Ich stieg in den Jeep und zog die Tür zu.
    Das Gewehr lag wieder zwischen den Sitzen.
    Als wir uns den aufgehäuften Vögeln näherten, sah ich, daß keine Flügel mehr zuckten, abgesehen von denen, die von der sanften Brise gekräuselt wurden.
    Weder Bobby noch ich sprachen darüber, was wir gerade miterlebt hatten. Worte schienen dafür nicht ausreichend zu sein.
    Als Bobby am Ort des Gemetzels vorbeifuhr, hielt er den Blick fest auf die Straße vor ihm gerichtet und sah nicht ein einziges Mal zu den toten Vögeln hinüber.
    Ich hingegen konnte den Blick nicht von ihnen abwenden und drehte mich sogar um und schaute zurück, nachdem wir an ihnen vorbeigefahren waren.
    In meinem Geist erklang Musik, gespielt auf einem Klavier, das nur schwarze Tasten hatte. Sie war schrill und mißtönend.
    Schließlich drehte ich mich wieder nach vorn. Wir fuhren in die furchteinflößende Helligkeit der Scheinwerfer des Jeeps, doch trotz unserer Geschwindigkeit blieben wir immer im Dunkeln und verfolgten das Licht, ohne es je einholen zu können.

10
    Die Totenstadt hätte als ein Wohnviertel der Hölle durchgehen können, in dem die Verdammten nicht Feuer und kochendem Öl ausgesetzt wurden, sondern der viel wirksameren Strafe durch Einsamkeit und ewige Stille, in der man darüber nachdenken konnte, was hätte sein können. Als hätten wir eine übernatürliche Rettungsmission angetreten, um zwei unrechtmäßig verdammte Seelen aus dem Hades zurückzuholen, durchsuchten Bobby und ich die Straßen nach irgendeinem Zeichen meines haarigen Bruders oder Lillys Sohn.
    Mit einem leistungsstarken Handscheinwerfer, den Bobby an den Zigarettenanzünder angeschlossen hatte, sondierte ich zwischen den wie Grabsteinen aufgereihten Häusern.
    Leuchtete durch gesprungene oder teilweise herausgebrochene Fensterscheiben, auf denen die Lichtreflexe wie Geistergesichter aufschienen. Entlang an stoppligen braunen Hecken. Unter

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