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Im Bann der Engel

Im Bann der Engel

Titel: Im Bann der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Gref
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gedemütigt wurde, sollten ein für alle Mal vorbei sein.

Kapitel 8

    Elena fand keinen Schlaf. Das Ritual beschäftigte sie, ließ ihr keine Ruhe. Warum war die Transformation derart aus dem Ruder gelaufen? Noch nie zuvor hatten sie die Kontrolle über eines der Objekte verloren. Waits ging es hervorragend, das war alles, was für Madame Hazard zählte. Elena fand diese eingeschränkte Ansicht blauäugig. Was, wenn sie einen Engel wieder einfangen mussten, der außer Rand und Band geriet? Zwar lag die Fabrik am Rande der Stadt, aber ein Engel mit Flügeln schaffte es binnen weniger Minuten zum Stadtkern. Bislang hatten sie die Engel nur vor sich selbst beschützen müssen. Oder? Elena hatte das ungute Gefühl, dass Madame Hazard ihr Vieles verschwieg, was sie besser hätte wissen müssen. Dieser Marcellus, der ohne zu zögern einem Mann in den Kopf schoss. Die Bilder der Hinrichtung kamen ihr wieder in den Sinn. Elena wälzte sich erschöpft von einer Seite auf die andere. Schließlich stand sie auf, wanderte einige Minuten in der Wohnung umher und stellte sich schließlich ans Fenster.
    Die Straße lag verlassen da und die Gaslaternen versuchten, die diesige Luft zu durchdringen, was nur mäßig gelang. Elena fand den Anblick der diffusen Lichtinseln, die in der Feuchtigkeit zerfaserten, unheimlicher als vollkommene Dunkelheit.
    Sie dachte an ihre Eltern, die für immer in der Finsternis ruhten. Der Druck des Wassers hatte ihre Skelette vermutlich zerdrückt, die Fische zuvor den Rest erledigt. Um ein Haar wäre sie mit gefahren, nur eine penetrante Grippe zwang sie, an Land und am Leben zu bleiben. Warum das Schiff gesunken war, konnte ihr bis heute keiner sagen.
    Als die Hafenbehörde mit dem Mädchen an der Hand bei ihm vor der Tür stand, war ihr Onkel völlig überfordert gewesen. Ein Junggeselle, der noch nie etwas mit Kindern zu tun gehabt hatte, geschweige denn zu tun haben wollte, sollte plötzlich der Vormund eines neunjährigen Mädchens sein?
    »Sie sind der einzige Verwandte«, teilte der Mann von der Behörde mit. »Wenn Sie sich nicht um das Kind kümmern können, müssten Sie uns dieses Formular ausfüllen.«
    »Was geschieht dann mit ihr?«
    »Waisenhaus«, sagte der andere Beamte knapp.
    Für einen Augenblick verharrte Onkel Jonathans Feder über dem Dokument. Prüfend sah er seiner Nichte in die Augen, die mit fest zusammengepressten Lippen vor ihm stand.
    »Ich kümmere mich um sie«, sagte er. Später erzählte er Elena, dass ihr Mut ihn beeindruckt hatte. Selbst auf die Gefahr hin, ins Waisenhaus zu müssen, hatte sie weder geweint noch gebettelt.
    Er machte seine Sache als Vormund gut, weil Elena ihn nach Kräften unterstützte. Sie war kein Mädchen, das mit Puppen spielte und heulte, sobald es sich die Strümpfchen zerriss. Bald schon begleitete sie ihren Onkel in die Universität, wo er einen Lehrstuhl besaß. Er unterrichtete das Fach Archäologie. Elena begriff recht schnell, dass es mit Wühlen in altem Gestein und dem Auswerten der gefundenen Dinge zu tun hatte. Sie begann sich ebenfalls dafür zu interessieren, schwenkte jedoch schon bald in okkultere Gefilde ab. Sie war fasziniert, dass jede Kultur ihren Schamanen, Hexer, Priester oder Heiligen hatte. Sie las alte Schriften, die sich mit der Magie verschiedenster Herkunftsorte befassten und studierte alte Sprachen, um die überlieferten Geheimnisse entziffern zu können.
    Als Elena elf Jahre alt war, nahm Onkel Jonathan sie aus der Schule und unterrichtete sie privat. Vier Jahre später saß sie mit lauter männlichen Studenten im Vorlesungsraum und gab sich als Thorben aus. Elena empfand das Opfer, sich die Haare kurz schneiden und die Brust abbinden zu müssen als sehr gering für das immense Wissen, das sie erhielt. Warum waren die höheren Lehren nur Männern gestattet? Elena wunderte sich nicht, dass manche Bewohnerinnen Cravesburys, ihr wie abnorme Wesen vorkamen. Dabei war sie diejenige, die aus der Reihe der Konventionen und Vorgaben tanzte. Sie lächelte, als sie an die schrägen Blicke all der braven Frauen dachte, an deren hochgeschlossene Blusen und züchtigen Hütchen. Und dann diese allgegenwärtigen Perlen, die von jedem Ohrläppchen baumelten, die seelenlos waren, ohne jegliche Individualität. Ungezählt auch die Fragen nach Elenas Ehestand. Galt sie nichts als alleinstehende Frau? Musste ein Beschützer um sie sein, der ihr das behandschuhte Händchen hielt? Nein, darauf konnte sie verzichten.
    Ihre Gedanken wurden

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