Im Bann der Engel
Kopf.
»Raventu, du wirst jetzt untersucht und dann musst du dich ausruhen.«
»Von was denn? Ich habe genug geruht. Äonen lag ich auf dem schwarzen Felsen und hatte nichts anderes zu tun, als mich auszuruhen.«
Elena ging zur Tür. »Wo willst du hin?«, rief Margaret ihr nach.
»Ich gehe zum Boss.«
Sie hatte Glück, Madame Hazard war noch in der Fabrik und schaute sie erwartungsvoll an, als Elena ihr Büro betrat.
»Hat alles geklappt?«
»Nichts für ungut, aber er ist widerspenstig.«
»Sie haben es nicht geschafft?« Die Stimme vom Boss klang nervös.
»Doch, ja. Aber er hat den Ton angegeben, nicht wir. Das ist ungewöhnlich.«
»Er ist wach?«
»Sie können mit ihm reden.«
Der Boss stand sofort auf und begleitete Elena in den Transformationsraum.
»Das ist ja wunderbar«, rief sie begeistert. »Raventu, du bist ein Prachtexemplar.«
»Sie aber auch«, konterte der Engel und schaute dem Boss unverblümt auf die weiblichen Rundungen.
»Steh auf und zeig dich in deiner ganzen Gestalt.«
»Wenn Sie sich nur entscheiden können. Erst soll ich ruhen, dann soll ich aufstehen. Wären ein paar Kniebeugen den Anwesenden genehm?«
»Ich stopfe ihm gleich sein vorlautes Maul«, flüsterte Geoffrey erbost. Überhaupt schien er nicht glücklich mit dem Neuzugang zu sein. Elena erwiderte seinen Blick und nickte. Sie war ebenfalls kritisch. Das war zu glatt gegangen. Noch nie zuvor hatte ein Engel das Ritual eigenmächtig abgekürzt, die Erweckung in die eigene Hand genommen – und es schon gar nicht gewagt, die Wissenschaftler zu bedrohen. Kleinlaut waren sie nach der Transformation, tagelang nur in der Lage, Brei zu schlucken, dabei heulten sie wie Säuglinge.
Am meisten machte Elena der Kontrollverlust Sorge. Sie hätte ihr Leben verlieren können. Wären die anderen nicht rechtzeitig gekommen, hätte dieser Widerling sie vermutlich ins Nichts gestoßen und wäre pfeifend davon marschiert.
Grinsend ließ Raventu die Untersuchung über sich ergehen. Er war sogar so dreist, den Arzt zu fragen, wann er den ersten Rundflug mit seinen neuen Flügeln antreten konnte. Der Arzt schüttelte den Kopf und notierte allerhand in Waits‘ Akte. Dann bat er den Boss und Elena vor die Tür.
»Er ist für seine Verhältnisse kerngesund. Unglaublich, angesichts der raschen Umwandlung. Ich hörte, es lagen zwischen der Vorbereitung und der Transformation nur wenige Stunden. Dieses Mal hatten wir Glück, aber beim nächsten Mal könnte sich das als Problem erweisen. Den Abschlussbericht lasse ich Ihnen zukommen und jetzt empfehle ich mich. Meine Frau wartet mit einem herrlichen Eintopf, den möchte ich nicht versäumen.«
Er drückte Madame Hazard die Akte in die Hand, verneigte sich und knöpfte bereits seinen Kittel auf, während er davoneilte.
»Was denken Sie?«, fragte Madame Hazard ernst und sah Elena das erste Mal direkt an.
»Er wird es überstehen, allerdings sehe ich bezüglich seiner Loyalität ein Risiko. Er ist willensstark. Höchstwahrscheinlich wird er sich uns nicht unterwerfen.«
»Erziehen Sie ihn. Sprechen Sie mit ihm, notfalls wenden Sie Gewalt an. Er muss unsere Interessen vertreten – er muss sie sogar derart verinnerlichen, dass sie ihm zur zweiten Natur werden. Ich kann mich doch auf Sie verlassen, Miss Winterstone?«
Elena nickte resigniert. »Wann sind die anderen an der Reihe?«
»Mit denen können Sie sich noch ein wenig Zeit lassen. Wie der Doktor schon sagte, die Vorbereitung war in der Tat kurz. Machen Sie Feierabend, meine Liebe, sie haben genug getan.«
Sophia blickte erstaunt Albert hinterher, der durch das Foyer jagte, weder Mantel noch Hut ablegte und sofort die Treppe hochrannte. Oben schlugen Türen. Sophia zuckte die Achseln und ging zurück in das Speisezimmer. Sie hatte Tischdecken bestellt, die der Händler heute angeliefert hatte. Es war schwer, die richtige Wahl zu treffen. Das Tuch musste angemessen, aber nicht zu konventionell sein, darauf bestand Madame Hazard. Sophia kannte die Vorlieben ihrer Herrin mittlerweile gut genug, nur boten die Stoffe nicht genügend Auswahl. Sie legte gerade eine schmale, mit Goldfäden durchwirkte Decke auf, als Albert hereinstürmte.
»Wo ist sie?«, fragte er. Hektische Flecken zeichneten sich auf seinen blassen Wangen ab.
»Bei den Kesseln«, gab Sophia gelassen zurück.
»Sag ihr, wenn sie nach Hause kommt, dass ich sie umgehend sprechen muss.«
Sophia wurde neugierig. »Was gibt es denn so Dringendes?«
Albert öffnete den
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