Im Bann der Engel
Mund, schloss ihn wieder, sank in sich zusammen. Sophia zog einen Stuhl für ihn zurück. Sie fürchtete Albert nicht länger. Seit Marcellus einige ernste Worte mit ihm gewechselt hatte, betrachtete Albert sie nicht mehr als Lustobjekt. Er seufzte und sah sie betrübt an.
»Es ist ein Skandal. Sie wird toben, wenn sie es erfährt.«
»Ich fahre gleich aus der Haut, wenn du dich weiter in kryptischen Äußerungen ergehst«, tadelte Sophia.
»Heute hatte ich Einiges in der Stadt zu erledigen. Im Rathaus traf ich Annabella Squirrel, die größte Klatschtante von Cravesbury. Sie hatte nichts Besseres zu tun, als mir von der Wohltätigkeitsveranstaltung am Sonntag zu berichten, zu der jeder eingeladen wurde, außer – rate mal.«
Sophia zog am Zipfel der Decke, so dass sie Falten schlug. »Du hast Recht, Albert, sie wird toben.«
»Wenn man zusammenzählt, was sie den ganzen Aasgeiern bereits an Geld in den Rachen geworfen hat, erhält man den Gegenwert eines schönen Anwesens.«
»Warum wird sie eigentlich so geächtet? Ich meine, sie ist extraordinaire, das wissen wir. Aber geizig war sie nie.«
»So wird ihr die Großzügigkeit gedankt. Ich habe immer gesagt, sie muss diesem Pack gegenüber andere Saiten aufziehen. Es ist ja nicht so, als könne sie sich nicht wehren.«
»Die Engel«, mutmaßte Sophia.
Albert nickte gedankenverloren und musterte das Tischtuch. »Das ist hässlich. Nimm lieber ein anderes.«
»Die sind alle nicht viel besser.« Sophia nahm das Tuch und stopfte es zusammen mit den anderen in die Kiste zurück. »Der Händler steckt vermutlich buchstäblich mit den Widerlingen unter einer Decke«, sagte sie säuerlich. »Er kann gleich morgen seine Ware wieder abholen.«
Sophia konnte sich am nächsten Morgen selbst von Madame Hazards Zorn überzeugen. Es krachte fürchterlich und als Sophia nachsehen ging, entdeckte sie Scherben auf dem Boden des Foyers. Die Büste, die bisher auf dem Sockel des Treppengeländers gestanden, und die ein Geschenk des Bürgermeisters gewesen war, fehlte. Schade, dachte Sophia. Ihr hatte die nackte Nymphe mit den leicht gespreizten Beinen gefallen. Die Figur war stilvoll gewesen, alles an ihr bestand aus Andeutung. Die Ahnungen lagen nun zerschmettert darnieder. Sophia hob einen Teil des Gesichts auf, die Nase und die linke Wange waren übrig. Sie entschied, die Scherbe als Andenken zu behalten und steckte sie ein. Madame Hazard tobte im Salon weiter. Dann kehrte Ruhe ein. Nachdem die Stille eine Weile angehalten hatte, schöpfte Sophia Hoffnung, dass sich ihre Herrin beruhigt hatte. Sie öffnete vorsichtig die Salontür einen Spalt. Madame Hazard saß auf dem Diwan, das Gesicht in den Händen vergraben.
Sophia ließ sich neben ihr nieder und strich ihr über den Kopf. Madame Hazard lugte zwischen den Fingern hindurch, ihre Augen waren trocken, aber die Pupillen zuckten unstet.
»Das wird ihnen leid tun«, sagte sie mit solcher Eiseskälte in der Stimme, dass Sophia von einem Schauer durchrieselt wurde.
Madame Hazard hob den Kopf und sah Sophia mit zusammengekniffenen Augen an. »Du wirst mich nicht verraten, oder? Versprich es mir.«
»Bei meinem Leben«, schwor Sophia.
Madame Hazard entspannte sich sichtlich und streichelte Sophia Gesicht und Wangen. Dann küsste sie sie zart auf den Mund. »Eigentlich sollte ich mich freuen. Uns ist heute ein Durchbruch in der Fabrik gelungen. Wir haben einen wunderschönen neuen Engel.«
Es war das erste Mal, dass Madame Hazard ihr von den Kesseln erzählte und da fügte sich für Sophia eines ins andere. Natürlich, die Kessel. In der Fabrik wurden Engel gemacht. Wie romantisch! Sophia seufzte vor Hingabe auf.
»Wer ist es denn? Kenne ich ihn?«
»Das kann man wohl sagen. Er ist noch gestern hier im Hause umher gelaufen.«
»Richard Sinclair«, rief Sophia entzückt.
«Dummerchen, mit dem Besten werde ich doch nicht den Anfang machen. Timor Waits.«
»Der Blonde?«
»Eben jener. Er ist frech und großmäulig, aber er ist stark und reizend.«
»Wo sind die anderen vier Männer? Noch in der Fabrik?«
»Ja, sie müssen beobachtet werden. Damit wir nichts falsch machen. Sie sollen meine Helden werden, diejenigen, die es mit dem Schicksal persönlich aufnehmen. Diejenigen, die das Blatt in Cravesbury zu unseren Gunsten wenden werden.«
Sophia klatschte begeistert in die Hände und schwor sich, alles daranzusetzen, gebührend mitzuhelfen. Die Zeiten, in denen ihre Herrin von all den selbstüberzeugten Widerlingen
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