Im Bann Der Herzen
über seine Familie erfahren, kannte jedoch noch immer nicht die Antwort auf die wichtigste Frage. Bereute er den Entschluss, sich ihr anzuvertrauen, und hoffte er, sie hätte den Grund für diesen kleinen Ausflug vergessen?
Sie gingen in Richtung Cumberland Gate, und nach ein paar Schritten sagte sie direkt: »Sie wollten mich über den gestrigen Nachmittag aufklären.«
Douglas hatte gehofft, die Schilderung seiner Familiengeschichte hätte das andere Thema in Vergessenheit geraten lassen. Er genoss ihre Gesellschaft wie schon unlängst am Abend und wollte diese leichte und freundschaftliche Unbefangenheit erhalten. Erstaunt und enttäuscht merkte er, dass es für ihn wichtig war, ob sie jetzt falsch auf das reagierte, was er ihr anvertraut hatte, und ihre plötzlich aufkeimende Vertrautheit damit beendet wäre. Nun konnte er sie nicht mehr als verwöhnte, privilegierte Dame der Gesellschaft abtun. Etwas hatte seine Einschätzung verändert, und er hatte keine Ahnung, was es war. Doch plötzlich war es ihm sehr wichtig, dass er ihre Reaktion auf seine Klinik und seine Patienten missdeutet hatte und dass sie nicht den instinktiven und jähen Abscheu gezeigt hatte, den er automatisch erwartete und daher voraussetzte.
Es wäre so viel einfacher, ihr nichts zu sagen und somit keine falsche Reaktion zu riskieren, doch als er in ihre entschlossene Miene blickte, den festen Zug um den vollen Mund sah, die blitzenden Lichter in den Tiefen ihrer braunen Augen, wusste er, dass sie ihn an sein Versprechen erinnern würde. Nun denn. »Fanden Sie es ungewöhnlich, dass ich eine Praxis in den Slums habe?«, fragte er.
»Ja, natürlich. Sie sagten, Sie hätten eine in der Harley Street.« Sie war stehen geblieben und schaute zu ihm auf. In ihren Augen lag eine Mischung aus Neugierde und Wachsamkeit. Schnee bestäubte ihren Hut, und die Straußenfeder sah schon etwas mitgenommen aus.
»Gehen Sie weiter«, sagte er, nahm ihren Arm und drängte sie weiter. »Beantworten Sie mir eines, Chastity: Können Sie sich vorstellen, warum ein Arzt sich entscheidet, diesen Menschen zu helfen?«
Chastity furchte die Stirn. Es handelte sich hier um eine Art Prüfung, und sie hatte das Gefühl, dass sehr viel davon abhing, diese zu bestehen. »Jemand muss es tun«, sagte sie. »Nur weil sie arm sind, heißt das ja nicht, dass sie nie krank werden ... ganz im Gegenteil, nach allem, was ich sah.«
»Und was meinen Sie, welche Art Arzt sie haben sollten?«
Chastitys Stirnrunzeln wurden tiefer. Sie fühlte sich wie bei einem Verhör. Mit gesenktem Kopf beobachtete sie ihre Füße, die über eine dünne Schneeschicht auf dem Rasen gingen. »Einen approbierten, nehme ich an«, sagte sie. »Gibt es denn noch andere?«
»Unqualifizierte.«
»Ach.« Sie glaubte, erfasst zu haben, um was es ging.
»Ich kann mir nicht denken, dass dies eine Sparte der Medizin ist, die sich bezahlt macht.«
Er lächelte, doch war es eher ein verbittertes als humorvolles Lächeln. »Nicht nur das, Medikamente sind nicht billig.«
»Ach«, sagte sie wieder und dachte daran, wie sie gesehen hatte, dass fast alle Patienten mit irgendeiner Arznei aus dem Sprechzimmer gekommen waren. Mit einem Mal begriff sie. »Um sie zu behandeln, muss man sie mit Heilmitteln versorgen.«
»Und um das zu tun, brauche ich eine zweite Einkommensquelle«, erklärte er.
Chastity spitzte die Lippen zu einem stummen Pfiff totalen Verständnisses. »Daher die Harley Street.«
»Daher die Harley Street.«
Chastity runzelte die Stirn noch mehr und zog die geschwungenen Brauen zusammen, als ob sie überlegte, was dies bedeutete. Schließlich fasste sie zusammen: »Wollen Sie damit sagen, dass diesen armen Teufeln in Earl's Court Ihre erste Sorge gilt, Douglas? Dass Sie die Reichen nur behandeln, um den Armen helfen zu können?«
»Im Grunde genommen verhält es sich so.« Er konnte nicht beurteilen, wie sie wirklich auf seine Enthüllung reagierte, doch gefiel ihm die Art, wie sie die Sache aus allen Blickwinkeln betrachtete und wie sie überlegte, ehe sie etwas sagte.
Jetzt schaute sie zu ihm empor, und in ihren Augen lag ein warmes Licht. Ihr schöner Mund formte ein Lächeln so aufrichtiger Freude und Sympathie, dass es sein Herz zum Erklingen brachte.
Sie zog ihre Hand aus dem Muff und ließ sie in seine gleiten. »Douglas, das ist wundervoll, wirklich großartig.« Sie spürte deutlich ein unangenehmes Prickeln, als sie daran dachte, wie er ihr missfallen hatte und wie abfällig
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