Im Bann Der Herzen
sie sich zu ihren Schwestern über ihn geäußert hatte. Er war ein guter Mensch. Ein wirklich guter Mensch. Gewiss, er war sonderbar und arrogant und wich keinem Streit aus. Das milderte aber nicht ihr Wissen, dass sie sich geirrt hatte, schrecklich geirrt. Da sein ganzes Mitgefühl den Bedürftigen galt, war es ganz natürlich, dass er reiche Hypochonder mit besonders kritischem Blick sah. Ebenso natürlich war es, dass er eine reiche Frau brauchte, um seine Mission ausführen zu können.
Und sie würde ihm eine verschaffen.
Douglas lächelte und umfasste ihre Hand fester. »Jetzt verstehen Sie, warum ich Sie bat, dies vertraulich zu behandeln.«
»Das verstand ich immer. Ich verstand aber nicht, was Sie dort taten. Sie hatten nicht den Eindruck erweckt, ein Mann mit menschenfreundlichen Ambitionen zu sein.«
»Ich glaube nicht, dass diese großartige Beschreibung auf mich zutrifft«, sagte er. Er sah auf seine Uhr. »Wir müssen eine Droschke nehmen. Um drei habe ich einen reichen Patienten, und zahlende Kunden soll man nicht warten lassen.«
»Nein, vermutlich nicht.« Chastity zog ihre Hand zurück. Plötzlich fröstelte sie trotz des warmen Mantels und griff nach hinten, um den Kragen hochzustellen.
Douglas nahm den dicken Schal ab, den er trug, blieb stehen und drehte sie zu sich, um den Schal um ihren Hals zu wickeln und die Enden in den Halsausschnitt ihres Mantels zu stecken. Seine Bewegungen waren flink und geschickt, während sich seine Stirn vor Konzentration in Furchen legte. Er zog den Mantel an ihren Schultern zurecht und strich ihn mit einer Geste glatt, die zu verweilen schien. Und dann beugte er den Kopf und küsste sie ganz leicht auf die Nasenspitze. Chastity wurde gewahr, dass sie den Atem anhielt, während sie versuchte, so zu tun, als geschähe es nicht. Er hob den Kopf und lachte auf sie hinunter.
»Ihr armes Näschen ist vor Kälte ganz rot. Ich wünschte mir schon eine Zeit lang, es zu wärmen«, sagte er.
»Aber das ist nicht die anständige Art und Weise, es zu tun«, gab sie zurück und rückte von ihm ab, als sie unwillkürlich mit der behandschuhten Handfläche ihre Nase rieb. Ein warmes Prickeln lief ihr über den Rücken, sein Duft und die Wärme seiner Haut hafteten an dem Schal um ihren Hals, und die Röte ihrer Wangen rührte nicht allein von der Kälte her.
»Ich dachte mir, es könnte trotzdem helfen«, sagte er mit einem Schmunzeln, das keine Spur Bedauern enthielt, drehte den Kopf und stieß auf zwei Fingern einen Pfiff aus, der einer Droschke galt. Er öffnete die Tür für Chastity, die einstieg, ehe er die Möglichkeit hatte, seine Hände um ihre Taille zu legen. Dann setzte er sich ihr gegenüber.
»Ich vergaß ganz, dass Sie hilfreiche Hände nicht mögen«, sagte er breit lächelnd.
»Was ich nicht mag, sind übertrieben vertrauliche hilfreiche Hände«, berichtigte sie mit gespielter Arroganz, die ihr nicht ganz gelang. Douglas grinste nur, und Chastity empfand einen Anflug von Ärger, der ihre harmonische Stimmung von vorhin verfliegen ließ.
»Eine Frage haben Sie mir nicht beantwortet«, ließ sie nicht locker und kniff die Augen zusammen. »Warum waren Sie zu mir so schroff? Da steckte doch mehr dahinter als der Umstand, dass ich über Ihr Geheimnis stolperte, oder?«
Er musterte sie. Ihr Mund blieb unbewegt, doch hätte er geschworen, dass zwischen den goldenen Pünktchen in ihren braunen Augen Funken tanzten. Sie wollte eine Antwort. Und er hatte eine. Doch war es eine, von der er ziemlich sicher annahm, dass Miss Duncan sie nicht schätzen würde.
»Es ist eine Gewohnheit«, sagte er.
Sie starrte ihn an. »Eine Gewohnheit? So ungehobelt zu sein? Eine Gewohnheit? Das also ist es? Eine andere Erklärung haben Sie nicht?« Ihr Ton war ungläubig und stachelte ihn genügend an, um ihm die Wahrheit zu entlocken.
»Na schön«, sagte er knapp. »Wenn Sie es unbedingt wissen müssen ... Ich knüpfte eine Vermutung an Ihre Reaktion, und weil diese Vermutung mich wütend machte, ließ ich meine Wut leider an Ihnen aus.«
»Was für eine Vermutung?« Sie beugte sich vor, um seine Miene besser beobachten zu können.
Er seufzte. »Ich bin so sehr daran gewohnt, bei den Frauen meiner Familie Vorurteile hervorzurufen - eigentlich bis zu einem gewissen Grad bei fast allen Menschen meiner Umgebung - dass ich annehmen muss, die Leute im Allgemeinen und Frauen im Besonderen seien selbstgefällig, voreingenommen und denkfaul.«
»Wie bitte?« Chastity blieb der
Weitere Kostenlose Bücher