Im Bann der Leidenschaft
holen.«
Bevor der Verwalter erschien, krachte es noch zweimal.
»Er hat den Brief gefunden«, erklärte der ältere Lakai verstört.
»Und die Ming-Sammlung muß dran glauben«, ergänzte der andere.
»Ruf drei Dienstmädchen«, wies Ivan ihn an. »Sie müssen die Scherben wegräumen.« Als er Holz und Glas splittern hörte, fügte er hinzu: »Außerdem brauchen wir den Zimmermann.« Dann öffnete er die Tür und betrat die Bibliothek, in der mittlerweile tiefe Stille herrschte.
Der Prinz saß hinter dem Schreibtisch, einen Cognacschwenker in der Hand. Durch die zertrümmerte Terrassentür wehte kalter Wind herein. Geistesabwesend schaute Alex auf. »Sie ist fortgegangen, Ivan.«
»Tut mir leid, Sasha.«
»Nicht nötig«, erwiderte Alex und leerte das Glas in einem Zug. »Ich hole sie zurück.« Ein paar Minuten lang hatte er mit seinem Gewissen gekämpft (gegen ihren Willen konnte er sie nicht festhalten) und dann mit seiner Vernunft (verdammt, sie war nur eine von vielen Frauen).
Aber seine Wut und die Sehnsucht nach Zena waren stärker. Morgen ist sie wieder da, entschied er, und sie wird erst abreisen, wenn ich’s ihr erlaube.
Nachdem er sich hastig angezogen hatte, in einer achtlosen Weise, die seinen Kammerdiener Feodor schockierte, sah er nach Bobby. Fröhlich saß der kleine Junge in seinem Bett und spielte.
Alex befahl dem Butler, die Gäste aus dem Haus zu scheuchen, sobald sie erwachten, stieg auf seinen Hengst Pasha und spornte ihn gnadenlos an. Ivan und zwei Reitknechte begleiteten ihn auf dem wilden Galopp nach Moskau. Seine Gedanken eilten voraus. Wahrscheinlich reiste Zena in den Süden, zu ihrem Großvater.
Aber wie die Befragung einiger Gepäckträger und eines Schalterbeamten ergab, war eine junge Frau, die auf Zenas Beschreibung paßte, in den Nachtzug nach Petersburg gestiegen. So unvernünftig es auch anmutete, sie mußte zu ihrer Tante zurückgekehrt sein. Vielleicht schreckte sie vor dem weiten Weg in den Kaukasus zurück.
Wenn sie nach Petersburg geflohen war – um so besser. Eine Fahrt von wenigen Stunden, ein bekanntes Ziel. Und es dürfte nicht allzu schwierig sein, die Tante aufzuspüren, dachte Alex. Wenn die Baroneß Adelsberg skrupellos genug gewesen war, ihre Nichte mit dem alten General Scobloff zu verloben, würde sich ein Prinz Kuzan sicher gütlich mit ihr einigen können. Für den Erben zahlreicher Goldminen in Sibirien und im Ural sowie mehrerer Ölfelder bei Baku spielte Geld keine Rolle.
Am nächsten Morgen erreichte ein mißgelaunter Alex das rosa Palais auf dem Newski-Prospekt. Die Bahnfahrt hatte eine halbe Ewigkeit gedauert. Wenn er sich umgekleidet hatte, würde er Zenas Tante besuchen. Zum Teufel mit dem Mädchen, das ihm solche Schwierigkeiten machte! Er betrat die Halle und warf seine Handschuhe einem Lakaien zu.
Als er aus dem Mantel schlüpfte, eilte der Butler herbei und begrüßte ihn ehrerbietig. »Guten Morgen, mein Herr. Möchten Sie frühstücken?«
»Nein, danke, Rutledge, ich hab’s verdammt eilig. Lassen Sie ein Bad vorbereiten und bringen Sie mir eine Flasche Cognac.«
Beim Anblick der finsteren Miene des Prinzen ahnte Rutledge, daß irgend jemandem Gefahr drohte. »Sehr wohl, mein Herr.« Während er sich entfernte, um die Befehle auszuführen, stieß er beinahe mit einem Tretroller zusammen.
In atemberaubendem Tempo raste ein kleines Mädchen über den schwarzweißen Marmorboden der großen Halle. Die Augen leuchteten, die kurzgeschnittenen roten Löckchen wippten. Sobald sie den Neuankömmling entdeckte, sprang sie von ihrem Roller, der krachend umkippte, und rannte zu ihrem Bruder.
Diese Begegnung milderte Alex’ Zorn ein wenig. Lächelnd breitete er die Arme aus, fing Natalie auf und wirbelte sie im Kreis herum.
»Endlich bist du da, Sasha!« jubelte sie, als er sie auf die Füße stellte.
»Du wächst ja immer schneller, mein Täubchen! Mindestens um fünf Zentimeter, seit wir uns zuletzt gesehen haben! Wie alt bist du jetzt?«
»Sechs!« Voller Stolz richtete sie sich auf, um noch etwas größer zu erscheinen.
»Schon sechs? Dann muß ich wohl bald deine ersten Verehrer verjagen. Wann bist du in die Stadt gekommen?«
»Vor drei Wochen. Wegen der Jungs mußt du dich nicht aufregen. Die sind mir viel zu blöd.«
»Darüber werden wir in zehn Jahren noch mal reden, Tata. Wenn sie um dich herumscharwenzeln, wirst du sie vielleicht nicht mehr so blöd finden.«
»Scharwenzelst du um deine neue Geliebte herum?«
Alex
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