Im Bann der Leidenschaft
Kutscher fuhr Zena nach Moskau. Um acht Uhr abends stieg sie in der Stadtmitte aus dem Wagen.
Während der Reise hatten sich ihre Gedanken unablässig im Kreis bewegt. Wäre ich doch vernünftig gewesen, hätte ich ihn nicht bedrängt und nicht gefragt, was ich ihm bedeute – dann könnte ich bei ihm bleiben. O Gott, wenn ich den Mund gehalten hätte, würde ich wenigstens jede Nacht in seinen Armen liegen. Was macht es schon aus, wenn es keine liebevollen Arme sind – solange er mich nur festhält? Ich habe zuviel verlangt – etwas, das er mir nicht geben kann – und deshalb alles verloren.
Als der Kutscher das Gepäck auf den Gehsteig stellte, dankte sie ihm und wies ihn an, nach Podolsk zurückzukehren. Alles sei in Ordnung, versicherte sie. Aber ihre unglückliche Miene bekundete das Gegenteil, und er ließ sie nur widerstrebend allein.
Nach einigen Minuten bemerkte Zena, daß sie die Aufmerksamkeit der Passanten erregte. Hastig ergriff sie ihre Ledertasche und ging zum Südbahnhof.
Wie in Trance, von dumpfer Verzweiflung erfüllt, durchquerte sie eine Welt, die gar nicht in ihr Bewußtsein drang. Wenn jemand mit ihr sprach, gab sie keine Antwort – wenn sie versehentlich angerempelt wurde, spürte sie nichts.
TEIL III
Flucht und Verfolgung
1
Im Morgengrauen streckte Alex wohlig die müden Glieder, flüsterte ›Liebling‹ und schlief ein. Als er erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel eines milden Märznachmittags. Träge drehte er sich zur Seite und schlang einen Arm um die weiche, warme Gestalt, die neben ihm lag. Seine Hand glitt langsam nach oben, streichelte eine runde Brust, und ein seltsames Unbehagen drang in sein benebeltes Gehirn. Was seine Fingerspitzen berührten, war nicht der richtige Körper.
Verwirrt öffnete er die Augen und blinzelte Amalies üppige Formen an. Dann stöhnte er leise, setzte sich auf und stützte den schmerzenden Kopf vorsichtig in beide Hände. Verdammt, warum hatte er so viel getrunken? Nur vage erinnerte er sich an den Streit mit Zena. Sie war wegen seines Flirts mit Amalie beleidigt gewesen.
O Gott, was hatte er gesagt? In letzter Zeit nörgelte Zena ständig an ihm herum. Vermutlich hatte er ihr empfohlen, die Datscha zu verlassen. Auch seine Gäste hätte er nach ein paar Flaschen Cognac am liebsten zum Teufel geschickt.
Was für ein Schlamassel! Nun mußte er Amalie möglichst unauffällig aus seinem Bett und aus dem Haus entfernen, dann würde er Zena mit einer plausiblen Erklärung besänftigen.
Am besten ging er sofort zu ihr. Offensichtlich hatte sie die letzte Nacht woanders verbracht. Um Amalie sollten sich die Dienstboten kümmern. Er zog Zenas Gesellschaft bei weitem vor.
Irgendwie würde es ihm gelingen, sie zu beruhigen. Er war ihrer Liebe sicher. Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, die entsprechenden Symptome richtig zu deuten, und er wußte genau, wann ihm eine Frau ihr Herz schenkte.
Um Himmels willen, was hatte er am letzten Abend gesagt? Es wäre hilfreich, wenn ihm das wieder einfiele. Lautlos schlüpfte er in einen Morgenmantel aus marineblauer Schantungseide, schlich aus dem Zimmer und fragte zwei Lakaien im Flur: »Wo ist Mademoiselle Zena?« Betreten wichen sie seinem Blick aus. »Nun?« fauchte er irritiert.
»Eh – sie ist nicht da«, stammelte der jüngere Mann.
»Geht sie mit Bobby spazieren?«
»Nein, Herr«, antworteten beide wie aus einem Mund.
»Und wo zum Teufel ist sie?«
»Das wissen wir nicht, Exzellenz«, murmelte der ältere Diener.
»Was? Und wer weiß es?«
»Niemand. Der Kutscher hat sie gestern abend nach Moskau gebracht.«
»Nach Moskau?« schrie Alex.
»In der Bibliothek liegt eine Nachricht.«
Alex stürmte die Treppe hinab. Hastig öffneten zwei Lakaien die Bibliothekstür und warteten in der Halle auf das Donnerwetter. Er fand den versiegelten Brief auf seinem Schreibtisch und riß ihn auf. »Leider ist Bobby zu krank, um mich zu begleiten. In zwei Wochen lasse ich ihn holen. Z.«
Also hatte sie ihn verlassen. Keine leere Drohung. Ein fait accompli.
Heller Zorn erhitzte sein Blut. Nur weil er Amalie einoder zweimal geküßt hatte … daß sie jetzt in seinem Bett lag, vergaß er geflissentlich.
Was bildete sich Zena eigentlich ein? Wie konnte sie es wagen, davonzulaufen, obwohl er sie noch gar nicht satt hatte?
Ein ohrenbetäubender Krach drang in die Halle hinaus, und die Diener wechselten einen angstvollen Blick. »Vermutlich die Ming-Vase«, flüsterte einer der beiden. »Du solltest Ivan
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