Im Bann der Leidenschaften
Außerdem … wenn alles erwartungsgemäß und normal gelaufen wäre, würde ich mir wohl immer noch in dem karierten Polstersessel an der Rezeption im Hotel meiner Eltern die Nächte um die Ohren schlagen. Jetzt schlage ich mir die Nächte mit einer bedeutend angenehmeren Beschäftigung um die Ohren. Und manchmal auch ein halbes Stündchen am Vormittag … Wenngleich Philippes seltsames Verhalten, was die Sache mit dem abgesagten Flug angeht, noch an mir nagt.
„Was für ein Traummann “, schwärmt Mary-Beth mit leuchtenden Augen. „Ich hätte nicht gedacht, dass er noch dazu solch ein bodenständiger, warmherziger, herzlicher Mensch ist! Ich dachte immer, Leute wie er, also ich meine: so wahnsinnig erfolgreiche Leute wie er seien alle kalt und überheblich. Phil ist ganz anders. So normal. Ohne zu fragen hat er mir einen Kaffee gemacht und ein Baguette zubereitet! Mit diesem weichen Camembert-Käse und klitzekleinen getrockneten Tomatenscheibchen. Und dabei hat er diese unglaubliche Wohnung …“ Als ob die Ausstattung einer Wohnung auf den Charakter abfärbt! Mary-Beth, die auf dem Platz links neben mir sitzt, und gerade zum zweiten Mal in ihrem Leben U-Bahn fährt, seufzt lautstark. Ihre grünen Augen strahlen, doch ihre angespannte Körperhaltung verrät, wie durcheinander sie die vielen neuen Eindrücke bringen. Philippe ist anscheinend nicht unwesentlich an ihrer Verwirrung beteiligt. Fast kommt sie mir so vor, als hätte auch sie sich in Philippe verliebt.
„ Phil ist sicher ein Traummann, aber unsere gute Annie ist schließlich auch eine Traumfrau.“ Freundschaftlich legt mir Mel einen Arm um die Schultern. Sie strahlt mich an. Dreiunddreißig ist sie, so alt wie Philippe. Neid war der guten Seele schon immer vollkommen fremd. Zumindest hatte sie in meiner Gegenwart nie welchen gezeigt, obwohl wir doch alle ab und zu darunter leiden. „Schatz“, sagt Mel überschwänglich, „du hast ihn verdient! Dass er dich glücklich macht!“
„Na ja“, knurrt Jane, „als Annie uns heute Mittag abgeholt hat, sah sie aus wie eine Traumfrau. So wie sie gekleidet war, passte sie absolut zu Philippe. Aber kaum sind wir in ihrer Nähe, läuft sie wieder rum wie ein Schlunz. Sag mal, Annie, warum hast du dich eigentlich umgezogen? In dem roten Kleid und dem kleinen Mäntelchen und diesen unglaublich unbequemen Schuhen sahst du aus wie eine waschechte französische Göttin. Ich dachte, wir fahren in all diese Boutiquen und du führst uns in die Welt der Mode ein.“
„Du sagst es ! Diese hochhackigen Schuhe sind die Hölle. Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, auf einer vierzehn Zentimeter hohen Aussichtsplattform in der Weltgeschichte herumzustöckeln. Ehrlich gesagt bin ich froh, mich mal endlich wieder wie ein Mensch fortzubewegen.“
Abgesehen davon, dass High Heels absolut nicht für meine breiten Füße geschaffen sind, ist das gelogen. Gekonnt gelogen. In den vergangenen Monaten habe ich das Laufen auf irrsinnig hohen Absätzen stundenlang geübt. Inzwischen gelingt es mir sogar, auf den mörderischen Hacken über Kopfsteinpflaster zu schlendern, ohne mir den Hals zu brechen. Und – wirklich ehrlich gesagt – mittlerweile fühle ich mich in meinen flachen Tretern wie ein Trampeltier. Allerdings kann ich meinen Freundinnen wohl kaum erzählen, was unter der Dusche mit meinen Klamotten passiert ist. Am Ende wäre mir noch eine Bemerkung über Philippes Flug-Verschiebungs-Aktion herausgerutscht. Ganz davon abgesehen, wäre es mir unpassend erschienen, derart aufgebretzelt neben diesen praktisch angezogenen Frauen herzulaufen. Aber auch das kann und will ich ihnen nicht verraten. Freundinnen müssen nicht jedes Geheimnis teilen.
Glücklicherweise f ahren wir endlich in die Station Concorde ein und meine drei Begleiterinnen sind vollauf damit beschäftigt, mir inmitten all der Menschen, die die Wagons verlassen und durch die gekachelten Gänge hasten, auf den Fersen zu bleiben.
„Sind wir hier nicht ganz in der Nähe von den Champs-Elysées?“, fragt Mary-Beth. Sie steht mitten unter dem geschwungenen, grünen Metro-Eingang. Aufgeregt wie ein Kind wartet sie auf meine Antwort, während Touristen und Einheimische gleichermaßen um sie herumlaufen.
„Ich will aber zuerst zu Chanel“, macht Mel ihre Interessen klar.
„Wir sind hier ganz in der Nähe von allem, was euch interessiert“, beruhige ich die beiden Freundinnen. „Der Louvre ist ebenfalls nicht weit. Aber dreht euch einmal um.
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