Im Bann der Leidenschaften
die Verkäuferinnen lästig. Beim Einkaufen habe ich am liebsten meine Ruhe. Mir graust es, wenn ich nur daran denke, dass ich in einer engen Umkleidekabine stehe, mich in eine Jeans quetsche, aus der ich nur mit Mühe wieder herauskomme – und davor lauert eine von diesen mageren Verkäuferinnen, die von vornherein wusste, dass mir die Hose einen Nummer zu klein ist.
„Vielleicht wenden Sie sich an die Verkäuferin …“, schlage ich mutiger vor, als ich mich fühle. Jetzt wäre der geeignete Zeitpunkt zu gehen. Ich brauche mich nur umzudrehen und einen Fuß vor den anderen zu setzen. Nichts und niemand hält mich. Oder doch?
Für einen Moment habe ich den Eindruck, dass sein Blick eisig wird. Dann nickt er mir knapp zu und wendet sich tatsächlich an die Verkäuferin, die elegant und mit einem reizenden Lächeln im Gesicht auf ihn zuschreitet.
„Hier bist du!“, ruft eine ferne Stimme hinter mir.
Abrupt erwache ich aus meiner merkwürdigen Starre. Es ist als wäre die Zeit stehen geblieben. Wie durch einen Schleier hindurch beobachte ich, wie Jane und Mary-Beth auf mich zukommen. Mel ist anscheinend immer noch im Erdgeschoss.
„Ist dir nicht gut?“ Jan e sieht mich besorgt an.
„Du bist blass“, stimmt die kleine Mary-Beth zu.
Ich atme tief durch, hake mich bei meinen Freundinnen ein und ziehe sie mit mir in Richtung Treppe davon.
„Die Preise“, zische ich. „Unfassbar!“
„Was glaubst du, wo wir hier sind?“ Auf Mary-Beths Stirn steht eine steile Falte. Unwillig blickt sie hinter sich. Sie hätte sich gern hier oben umgesehen, wehrt sich aber nicht.
Auch ich drehe mich noch einmal um , bevor ich meinen Fuß auf die Treppe nach unten setze. In dem Augenblick hebt der geheimnisvolle Mann seinen Kopf und sieht mir direkt ins Gesicht. Ich werde den Eindruck nicht los, dass sein Mund sich zu einem spöttischen Lächeln verzieht.
Kapitel 4
Am Abend gleicht Philippes Wohnung einem Wellnesstempel. Es riecht nach Orangenschaumbad, Schokoladengesichtsmasken und allen möglichen Schönheitswässerchen und Cremes. Der Damenrasierer und der Fön brummen ununterbrochen und aus den in den Wänden eingelassenen Lautsprechern plärren seit Stunden Walt-Disney-Soundtracks. Mary-Beth hat die komplette Sammlung mitgebracht, damit wir auch garantiert in Stimmung kommen. Ihre Rechnung geht voll auf. Den Champagner hätten wir gar nicht gebraucht, so wie wir drauf sind. Zur Vorbereitung auf diesen Abend trinken wir ihn aber natürlich trotzdem. Jetzt bin ich froh, dass Philippe sich für zwei Tage und zwei Nächte nach Dubai verzogen hat. Vermutlich hat er das Spektakel erahnt und ist ihm netterweise mir und sich selbst zuliebe aus dem Weg gegangen.
Mary-Beth und Jane kennen sämtliche Liedertexte aus den Walt-Disney-Filmen auswendig. Mit ihren quiekigen Singstimmen singen sie die ganze Zeit mit. Auch Mel versucht zu singen, doch genau wie ich kann sie sich keine Liedertexte merken. Außerdem brummt sie grauenvoll. Während sie sich aber von solchen Kleinigkeiten nicht vom Mitsingen, beziehungsweise Mitbrummen abhalten lässt, trällere ich nur hin und wieder einen Refrain mit. Gerade schmettern wir alle gemeinsam das Zwergenlied aus Schneewittchen. „Hey-ho, hey-ho, wir sind vergnügt und froh!“, schallt es treffenderweise aus sämtlichen Badezimmern.
Ich massiere mir in der Wanne die Zehen . Merkwürdigerweise sind meine Füße trotz der Sneakers so voller Blasen, als wäre ich den New York Marathon auf High Heels gelaufen. Der Junggesellinnenabschied oder die Bridal Shower, wie wir in Amerika sagen, ist einer der wichtigsten Bestandteile einer amerikanischen Hochzeit. Da kann ich nicht wegen ein Paar höllisch schmerzender Füße schlapp machen, nur weil meine Freundinnen unbedingt alle Designertempel an einem einzigen Nachmittag besichtigen mussten. Schließlich ich es der einzige Junggesellinnenabschied im Leben einer Frau. Da lassen wir amerikanischen Mädels es so richtig krachen. Statt wie früher im alten Kinderzimmer der Braut Haushaltsgegenstände zu verschenken, ziehen die modernen Brautjungfern mit der Braut um die Häuser. Je höher es dabei hergeht, desto besser. Eine ferne Bekannte setzte bei ihrer Bridal Shower beinahe ihre Hochzeit aufs Spiel, als sie zu dem Mucki-Mann, der eigentlich aus der Kiste springen sollte, in die Kiste hineingesprungen ist. So heiß wird es an meinem Mädelsabend garantiert nicht abgehen. Schließlich sind wir nur zu viert. Mary-Beth ist fest liiert, Jane ist
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