Im Bann der Leidenschaften
Ahnung, wer er ist.“
„Ist ja auch egal. Jetzt wisst ihr, wer ihr seid.“ Philippe strahlt über das ganze Gesicht, während mir das Lachen im Halse stecken geblieben ist.
Glücklicherweise fällt in dem Moment die Meute mit ihren guten Wünschen über uns her. Für eine Weile konzentriere ich mich einzig und allein auf die Menschen, an die ich mich entweder gar nicht entsinne oder die ich noch gar nicht kenne, und die mich mit Komplimenten über mein wunderschönes Kleid und meinen tollen Mann überhäufen, der sich, zum Leidwesen seiner Eltern, nicht mal für die Hochzeit die Haare hat abschneiden lassen.
Philippe, der an meiner Seite steht, bekommt Ähnliches über mich zu hören. Worte wie wunderschön und beneidenswert dringen an mein Ohr.
Als der Begrüßungs- und Wünschemarathon endlich zu Ende ist, verlassen auch Philippe und ich den Trausaal. Auf dem gepflasterten Platz vor dem Bürgermeisterhaus ist der Zwischen-Standesamt-und-Kirche-Imbiss in vollem Gange.
Obwohl Philippe mir und meiner amerikanischen Verwandtschaft zu Ehren einen Hochzeitsservice beauftragt hat, der auf amerikanische Hochzeiten spezialisiert ist, habe ich nicht das Gefühl, mich auf einer amerikanischen Hochzeit zu befinden. Alles läuft so ganz anders ab als auf den Hochzeiten, bei denen ich in meiner alten Heimat zu Gast war. Im Grunde haben französische Hochzeiten mit amerikanischen nur wenig gemein: Es gibt ein schick gekleidetes Brautpaar, zahlreiche Gäste, deren Namen man nicht kennt, und alles verschlingt unglaublich viel Geld.
„Gibt es etwa schon wieder was zu essen?“ Mein Vater hat mir neben dem Ausgang aufgelauert und zieht mich zur Seite, wo er mit Mom und meinen Schwiegereltern steht, die nur wenig mehr Englisch sprechen als meine Eltern Französisch.
Obwohl dieser Tag so ganz anders läuft, als ich mir das wünsche, muss ich lachen. Mit seinem empörten Ausruf trifft mein neuerdings schwarzhaariger Dad, der eigentlich selbst ein bisschen verfressen ist, die Sache absolut auf den Punkt: Auf französischen Hochzeiten wird hauptsächlich gegessen. Ein ganzes Geschwader hübscher, junger Kellnerinnen läuft mit Tabletts zwischen den Gästen herum und verteilt Gebäck und Wein.
„Das sind kleine Brioches“, erkläre ich meinen Eltern und schnappe mir selbst ein Stück von dem Hefeteig-Eier-Gebäck. Es ist eine ganz vorzügliche, feine Leberpaté darin.
„Lecker, aber schon wieder Wein?“, stöhnt meine Mutter kauend, womit sie den zweiten Schwerpunkt einer französischen Hochzeit aufgedeckt hat: Es wird praktisch pausenlos Alkohol getrunken.
„Das ist gut“, murmele ich, trinke unter dem Beifall meiner ebenso reizenden wie steinreichen Schwiegereltern ein Glas Rotwein auf Ex, und nehme mir gleich ein weiteres Glas, um mit ihnen anzustoßen.
„Sie ist schon eine richtige kleine Französin“, freut sich meine Schwiegermutter, wobei das Attribut klein wohl eher auf sie als auf mich zutrifft. Die Frau reicht mir gerade bis zur Brust. Auch Philippes Vater ist nicht viel größer.
Meine Mutter schüttelt verständnislos den Kopf, lässt sich aber ohne zu murren ein Glas in die Hand drücken und führt es auch gleich zum Mund.
„Und wie geht es jetzt weiter?“ Jane hat sich von hinten an mich herangeschlichen, mit Mary-Beth und Mel im Schlepptau. Kauend und fragend sehen die drei mich über ihre Rotweingläser hinweg an, während ich immer wieder staune, was ein schönes Kleid, ein Besuch beim Coiffeur und die Dienste einer Kosmetikerin anrichten können. Die Drei sind genauso wenig wiederzuerkennen wie ich selbst. Wir sehen allesamt göttlich aus.
Schulterzuckend wende ich mich zu meinen Freundinnen um. „Wie soll es schon weitergehen? Wir befinden uns auf einer französischen Hochzeit. Jetzt essen wir erstmal einen Happen.“
Jane ist nicht wirklich zufrieden. Sie kann es gar nicht leiden, wenn sie nicht weiß, was sie erwartet. „Wann fahren wir zur Kirche?“
„Gleich“, entgegne ich. Bis vor einigen Wochen ging es mir ganz genauso wie Jane. Da hat mich die französische Lebensart fürchterlich nervös gemacht, doch inzwischen geht es mir auf die Nerven, wenn ich mehr als drei Termine in der Woche habe. An gewisse Dinge gewöhnt man sich im Nu.
„Gleich?“, knurrt Jane. „Sag mal, kann es sein, dass du blau bist, Annie?“
„Oh, Jane“, seufze ich, obwohl meine Freundin nicht ganz unrecht hat. Ich fühle mich in der Tat ein wenig beschwipst und werde alles dran setzen, dass es so
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