Im Bann der Leidenschaften
bleibt, denn nüchtern werde ich den Tag wohl kaum überstehen. „Wenn die Leute ihre Häppchen gefuttert und ihren Wein getrunken haben, steigen Philippe und ich, glaube ich, in den Bentley und fahren zur Kirche. Und dann, nehme ich an, trommeln die Typen vom Hochzeitsservice alle Gäste zusammen und ihr folgt uns in den Bussen.“
„Also ich verstehe das nicht“, jammert Jane kopfschüttelnd. „Ihr könnt ja vielleicht auf diese Weise mit den Gästen umspringen, aber doch nicht mit dem Pastor. Der muss sich doch auf irgendetwas verlassen. Gibt es denn keinen Plan?“
„Jane, Liebes, der Plan ist ganz einfach: Imbiss – Standesamt – Imbiss – Mittagessen – Kirche – Kaffee und Kuchen – Abendessen – Tanz – Imbiss – Hochzeitstorte – Tanz – Absacker. Dazu ein bisschen was zum Knabbern. Des Weiteren gibt es Wein. Lasst euch einfach treiben und genießt den Tag.“
„Ganz genau so geht das.“ Philippe tritt neben mich. Seine blauen Augen strahlen wie eh und je, das Haar fällt ihm schon wieder in die Stirn. Genau so liebe ich meinen Mann. „Die Brautjungfern fahren wieder mit der Limousine. Sie steht schon bereit.“ Philippe weist auf die weiße Limousine, die ein paar Meter von uns entfernt auf dem Platz vor dem Bürgermeisterhaus steht. „Meine wunderschöne Frau fährt wieder mit ihrem Papa und Jerôme. Ich fahre mit meinen Eltern. Auf geht’s!“
Es passt mir ganz und gar nicht, dass ich nun wieder zu Jerôme in den Bentley steigen muss. Ich habe das Gefühl, dass ein kleines Schäferstündchen mit Philippe nicht das verkehrteste wäre, um mich daran zu erinnern, dass er der Mann ist, dem ich gehöre. Wenigstens sind mir dieses Mal die beiden Helfer vom Hochzeitsservice beim Einsteigen behilflich. Sie geben mir genaue Anweisungen, wie ich meinen Hintern in den Font des Wagens zu schwingen habe, und es ist doch ein etwas angenehmeres Gefühl, im Sitzen befördert zu werden, als in der Stellung der lauernden Katze. Dummerweise befindet sich auf diese Weise die ganze Zeit über Jerômes männliches Profil in meinem Sichtfeld. Ich bin froh, dass ich nicht allzu gläubig bin, denn sonst würde mich meine Aussicht schier zerreißen. Vielleicht sind es auch die beiden Rotweingläser, die ich intus habe, die mich vor der Marter bewahren. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich noch viel mehr davon trinken.
„Alles ist gut gegangen“, grinst Jerôme. Im Rückspiegel kneift er mir ein Auge.
Mein Vater dreht sich fragend zu mir um.
„Die Straßen sind frei“, übersetze ich nicht ganz wörtlich.
„Ah“, nickt Dad.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was in mir los ist“, brumme ich an Jerôme gewandt.
Der zuckt mit den Schultern. „Alte Schuld erzeugt gern neue Schuld“, zitiert er. „Aischylos, griechischer Tragödiendichter.“
„Das könnte dir so passen!“, entgegne ich, wundere mich aber über Jerômes klassische Bildung. Für Dad übersetze ich: „Wir sind gleich da.“ Was ausnahmsweise der Wahrheit entspricht.
Als würde er Tag und Nacht nichts anderes tun, lenkt Jerôme den Bentley um den Place de la Concorde, wo um diese Zeit der Teufel los ist. Wie auf einem überdimensionalen Karussell rasen die Autos achtspurig um den Obelisken herum. Wir mittendrin. An der Rue Royale fährt Jerôme rechts ab. Das Hupkonzert um uns herum erreicht kurzfristig Höchstlautstärke.
Meinem Vater rinnt der Schweiß den Nacken hinunter. Ich strecke meine rechte Hand nach Dad aus und lege sie ihm tröstend auf die Schulter. Ich weiß, wie im jetzt zumute ist.
„Daddy, sieh nach vorn.“
Vor uns taucht der tempelartige, von romanischen Säulen umgebene Bau der Madeleine-Kirche auf.
„Ich dachte, du heiratest in einer echten europäischen Kirche, mit einem Kirchturm, auf dem ein Hahn kräht!“
Ich hätte es mir denken können, dass mein Dad zutiefst enttäuscht sein wird, wenn er die Madeleine erblickt, die nicht im mindesten wie eine Kirche aussieht.
„Warte ab“, versuche ich, ihn glimpflich zu stimmen, „wenn du erst das Innere siehst, wirst du ebenso begeistert sein wie ich.“ Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht, denn das Innere der Madeleine ist den Haupträumen römischer Therme nachempfunden. Das wird ihm sicher auf den ersten Blick auffallen. Dann wird er sich eine entsprechende Bemerkung nicht verkneifen können.
„Dein Papa scheint nicht viel über die französische Kultur zu wissen“, grinst Jerôme.
„Er liest nicht gern Reiseführer.“
„Und das als
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