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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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Herrschaft einen Auftrag erledigen soll?“, fragte sie mit zitternder Stimme und hielt ihm mit ebenso zitternden Händen die mit einem roten Siegel versehene Depesche hin. Völlig verdutzt nahm der junge Vampir diese entgegen, brach das Siegel und überflog die wenigen, handgeschriebenen Zeilen. Das war der Auftrag zu einem Mord! Man erwartete von ihm die Aushändigung eines fertig gemischten und bereits bezahlten Giftpulvers an die Dienstmagd zur Beseitigung eines unliebsamen Ehemannes! Unterschrieben war dieser Brief von einer Natascha Gräfin Berzinsky, offenbar einer Russin. Er hatte diesen Namen noch nie gehört. Dem jungen Saint-Jacques kam beim Lesen dieser Botschaft eine Idee, die seinem Freund und Mentor Julien de Montespan gefallen hätte. Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?
    „Führ mich zu deiner Herrin“, befahl er.
    Die arme Frau vor ihm war erneut einer Ohnmacht nahe, da sie nicht damit gerechnet hatte, einen wildfremden Mann zum Haus der Gräfin begleiten zu müssen, noch dazu mitten in der Nacht! Obwohl – er sah schon verdammt gut aus, dieser Fremde. Aber er hatte so einen Ausdruck in den Augen, als ob der Teufel persönlich sie ansehen würde. Die blass gewordene und dadurch noch farbloser wirkende Magd schlug die Kapuze ihres Umhangs wieder über das blonde Haar und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Während sie beide wie ganz normale Passanten den Weg zurückgingen, konnte Marcel seinen Plan noch etwas reifen lassen. Schließlich hatte er doch einen guten Lehrer gehabt!
    Die Dienerin führte ihn zum Stadthaus, ohne noch ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln. Sie öffnete die Seitenpforte, die einen wunderschönen, kleinen Rosengarten verbarg, und führte ihn durch den Dienstbogeneingang in die Empfangshalle des Hauses. Es brannten nur noch wenige Kerzen im Kronleuchter. Offenbar war es um dieses Haus nicht mehr so gut bestellt, wie es von außen den Anschein hatte. Marcel reimte sich die weiteren Dinge zusammen, als er sich umschaute. Ein kahler Fleck an der Wand, der die Umrisse eines großen Gemäldes auf der bedruckten zartvioletten Stofftapete aufwies, bestätigte seine Vermutung. Sein Finger fuhr spielerisch über eine Bronzestatue des Götterboten Merkur in einer Ecke unter der Treppe. Sie war leicht angelaufen und lange nicht mehr poliert worden, was darauf schließen ließ, dass es nicht mehr viele Bedienstete in diesem großen Haus gab. Das bewiesen auch die zarten Schleier der Spinnweben, die von den Kerzenständern und dem Kronleuchter hinunter hingen.
    Nach guten dreißig Minuten kam schließlich die Herrin des Hauses die Treppe herunter. Sie war eine grazile, dunkelhaarige Schönheit. Das schwarze Haar trug sie glatt zu einer Hochsteckfrisur aufgetürmt. Ihr roséfarbenes Empirekleid mit dem cremefarbenen Unterrock hatte jedoch schon bessere Tage gesehen. Ihn erstaunte, dass keinerlei Schmuckstücke an dieser schönen Frau zu finden waren, wie es sonst in ihren Kreisen üblich war. Ihr Gesicht erinnerte an feines, chinesisches Porzellan und besaß einen leicht mongolischen Einfluss um die Augenpartie herum, was seine Vermutung auf die russische Herkunft verstärkte. Es erschien ihm traurig. Das war nicht der Blick einer rachsüchtigen Ehefrau. Die Gräfin – sie mochte vielleicht Anfang Dreißig sein – wirkte eher hilflos und furchtsam, als sie ihn jetzt zögerlich begrüßte.
    „Seid Ihr von der Polizei, Monsieur?“, fragte sie mit einem ängstlichen Unterton in der Stimme.
    Marcel lächelte beruhigend. „Nein, Madame, ganz bestimmt nicht. Aber durch einen Irrtum Eurer Dienerin weiß ich nun von Euren Plänen und dass Ihr eigentlich den Apotheker Rochard erwartet habt. Verzeiht, wenn ich Euch unhöflicherweise meinen Namen nicht nenne, doch dafür habe ich meine Gründe.“
    Die Gräfin schlug erschrocken ihre zierliche rechte Hand vor dem Mund. Tränen stiegen in ihre braunen Augen und verliehen ihnen im Kerzenschein einen goldfarbenen Schimmer. Marcel empfand fast so etwas wie Mitgefühl mit dieser Frau, die einen kaltblütigen Giftmord geplant hatte.
    Nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte, bat die Gräfin Berzinsky ihn in einen der angrenzenden Salons, wo sie sich erschöpft auf ein Sofa fallen ließ. Der junge Saint-Jacques konnte erkennen, dass es mit diesem Raum nicht besser bestellt war als mit dem Foyer. Offenbar hatte die Dame hier schon alles zu Geld gemacht, was von Wert gewesen war.
    „Ja, schaut Euch ruhig um“, forderte sie ihn mit

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