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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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unerklärliche Todesfälle in der Rue Villard No. 13. Offiziell ging man von einem Doppelselbstmord aus. Diese Nacht war gleichzeitig der Beginn einer denkwürdigen Karriere für Marcel Saint-Jacques. Auch wenn die Gräfin seinen Namen nicht kannte, so sprach sich seine Dienstleistung für den Adel doch herum. Der junge Chevalier war durchaus wählerisch bei der Zusage seiner Dienste. Nicht immer ging es um Erbschaften, oft um Untreue oder Rache für ein erlittenes Unrecht. Bald fieberte er dem Einbruch der Nacht entgegen, um zu jenem Grab zu eilen, wo Lisette seine Nachrichten unter einer steinernen, vom Efeu überwucherten Urne hinterließ. Marcel erkannte an der Handschrift bereits, ob ihm eine Dame oder ein Mann um Hilfe bat, wobei die der Damen immer besonders angenehm dufteten. Manch ein Briefumschlag enthielt sogar einen ungefassten Edelstein als Bezahlung. Auf was für Gedanken diese Menschen kamen! Sie begannen, ihn mittlerweile genauso zu amüsieren wie seinen Mentor, den Marquis. Marcel verdrängte die Gedanken an Julien, zu sehr schmerzte die Erinnerung an diese tiefe, sinnliche Verbundenheit zwischen ihnen. Der letzte Streit war schon fast vergessen. Er hatte keine Ahnung, ob sie sich jemals wiedersehen würden, ja, ob der Marquis überhaupt noch existierte. Aber er wollte ihm wenigstens als Eleve alle Ehre machen! Seine Versorgung war auf lange Sicht garantiert, und eine Zuflucht hatte er auf diesem alten Friedhof auch gefunden. Dennoch – irgendetwas fehlte.
     
    Die Dienstmagd der Gräfin ließ sich selbst nie zu später Stunde auf dem alten Friedhof blicken. Sie fürchtete sich zu Tode, seit dieser gutaussehende Mann ihrer Herrin in jener seltsamen Nacht einen Besuch abgestattet und noch in der gleichen Nacht zur Witwe gemacht hatte. Er war ihr unheimlich, schon vom ersten Augenblick an! Aber sie erfüllte treu die Bitte ihrer Herrin. Ab und zu brachte sie ihm sogar frische Kleidung in einem Korb, und er legte die benutzte zum Waschen hinein. Am nächsten Tag waren immer alle Briefe verschwunden.
    Leider war Lisette auch ziemlich geschwätzig und konnte nicht umhin, in Dienerkreisen von dem geheimnisvollen Fremden zu erzählen. So kam es, wie es kommen musste: Von den Dienstbotenzimmern bis zu den Ohren der Herrschaft war es nur ein kleiner Schritt. So wusste man in Adelskreisen recht bald, wie dieser geheimnisvolle Rédempteur zumindest annähernd aussah. Viele Briefe an ihn enthielten bald Einladungen zu Soireen und Bällen, nach denen oft der eine oder andere Gast spurlos verschwinden sollte. Seinen Decknamen sprach man furchtsam hinter vorgehaltener Hand aus. Niemand wusste, woher der Rédempteur kam oder wohin er ging, nur eines war sicher: Wenn Marcel Saint-Jacques mit seinem exotischen Aussehen persönlich irgendwo auftauchte, war kurz darauf in einer hochgestellten Familie ein schmerzlicher Verlust zu beklagen. Bisher hatte niemand es gewagt, ihn direkt auf seine Dienste anzusprechen, geschweige denn, den Chevalier Saint-Jacques im gleichen Atemzug mit dem Rédempteur zu nennen. Dennoch war es ein offenes Geheimnis in den Adelshäusern.

Auf dem Silvesterball des Vicomte de Montfort war auch der Chevalier Saint-Jacques eingeladen. Da es sich um einen der beliebten Maskenbälle handelte, sollte bei dieser Gelegenheit der jüngere Bruder des Vicomtes beseitigt werden. Aber dazu kam es nicht.
    Der Ball war gerade in vollem Gange: Das Rauschen, Glitzern und Funkeln der Kostüme wurde nur noch übertroffen von den unterschiedlichsten Duftmischungen, mit denen sich die edlen Damen und Herren zusätzlich geschmückt hatten. Livrierte Diener mit goldenen Masken reichten Gläsern mit Champagner auf silbernen Tabletts herum. Fast schien es, als ob der Adelsglanz vergangener Epochen zurückgekehrt war, und die Teilnehmer des Balls schwelgten nur gar zu gern in Erinnerungen.
    Das Orchester stimmte gerade einen Cotillon an. Marcel hielt sich etwas abseits. Er sollte nach einem „Hermes“ Ausschau halten. Durch den Klang der Violinen und Cembalos hindurch vernahm er die leisen Gespräche der umstehenden Gäste. Welche Vorteile man doch als Untoter hat. Wieder ein amüsanter Gedanke, der ihn an Julien erinnerte. Ohne es zu wollen, konnte er schräg hinter sich ein Gespräch belauschen, das völlig anders als die sonst eher höfischen Geplänkel verlief. Die Stimme eines jungen Mannes, fast ängstlich, drang an Marcels Ohr.
    „Wenn ich diese Giselle de Beaufort nicht heirate, wird mein Bruder mich

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