Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Bitterkeit in der Stimme auf. „Mein Mann tut alles, um mir das Leben schwer zu machen. Erst verschlangen seine Pferdewetten das gesamte Vermögen, das ich in die Ehe mit dem Comte Amont mitbrachte, selbst dieses Haus ist hoch belastet. Unser Sohn starb vor wenigen Monaten im Alter von achtzehn Jahren, weil wir die Arztrechnungen nicht mehr bezahlen konnten! Leider bin auch ich nun erkrankt. Die Lunge, wisst Ihr. Versteht mich nicht falsch, Monsieur, ich will keine billige Rache. Aber Honoré hat vor kurzem sehr viel Geld gewonnen, das hat er mir sogar selbst voller Stolz erzählt. Ins Gesicht gelacht hat er mir! Ihm sei endlich der große Wurf gelungen! Dieses Geld bringt er nun lieber mit fremden Weibern durch, als sich um seine Ehefrau zu kümmern. Mich hat er sowieso seit Jahren nicht mehr angerührt. Hierher kommt er nur noch, um die Kleidung zu wechseln, seinen Rausch auszuschlafen und um unsere Wertgegenstände hinter meinem Rücken zu verkaufen. Sogar meinen Schmuck hat er mir schon gestohlen. Ich habe sogar meinen Mädchennamen wieder angenommen, um mich von diesem Menschen zu distanzieren! Nur die arme Lisette steht noch treu zu mir. Sie ist mein letzter Halt in diesem Land, denn ich habe nicht einmal genug Geld, um in meine Heimat zurückzukehren. Auch wenn der Adel heute wieder einen Hauch seines alten Glanzes zurückerhalten hat: Viele meiner Freunde starben oder flohen in den Zeiten der Revolution. Alle sind sie tot – alle …“ Der Rest erstarb in einem Schluchzen.
„Wenn das so ist“, murmelte Marcel.
Mit einem solchen Schicksal hatte er nicht gerechnet, als er die Depesche las. Dabei fiel ihm aber wieder ein, was der Marquis ihm über die Bestimmung der „Erlöser“ erzählt hatte. Hier sah er durchaus eine Aufgabe für sich.
„Wisst Ihr, wo Euer Mann sich jetzt aufhält?“, fragte er deshalb gleich.
Die Dame tupfte sich gerade mit einem weißen Taschentuch die Tränen aus den Augen und nickte.
„Sicher wieder seiner Geliebten Pauline Bertaud in der Rue Villard No. 13, das Apartment hat er extra für sie gemietet“, gab sie ihm schluchzend zur Antwort. Allein der Name dieser anderen Frau kam ihr nur schwer über die Lippen, als schien sie sich davor zu ekeln.
„Madame, ich werde Euch jetzt einen Vorschlag machen. Ich kümmere mich noch heute Nacht um Euren Mann und seine Geliebte, allein um Euretwillen. Aber zuvor eine Bitte: Habt ihr vielleicht saubere Kleidung für mich?“, fragte der junge Vampir jetzt. In der Tat waren die Kleidungsstücke, die er trug, nicht nur aus der Mode gekommen, sondern auch angeschmutzt und leicht verschlissen. Ganz abgesehen von dem leichten Modergeruch, der von ihnen ausging.
Erstaunt hob die schöne Gräfin den Kopf und musterte ihn kurz. Seine aufrechte Gestalt, der stolze Blick, die gepflegten Hände mit dem kostbaren Ring und die etwas zu langen Fingernägel deuteten auf eine adelige Herkunft. Dann nickte sie.
„Ja, mein Sohn hatte ungefähr Eure Statur. Ich werde Lisette bitten, einiges für Euch heraus zu suchen.“ Gleichzeitig betätigte sie die Klingel, die an einem bestickten Stoffband neben dem Sofa befestigt war und Dienstboten herbeirief. Nachdem Lisette den Befehl ihrer Herrin entgegen genommen hatte, ging sie wieder, um aus dem Zimmer des ehemaligen jungen Herrn das Gewünschte zu holen.
Während sie gemeinsam auf Lisettes Rückkehr warteten, fuhr Marcel fort: „Ich möchte Euch nur um eines bitten, da ich keine Bezahlung für meine Dienste verlange – zumindest nicht von Euch. Empfehlt mich in Euren Kreisen weiter und wenn jemand meiner Hilfe bedarf, so mag er in Eurem Haus eine Nachricht für mich hinterlassen. Nennt mich einfach le rédempteur . Von Zeit zu Zeit werde ich die Nachrichten abholen, ohne Euch zu behelligen. Deponiert die Briefe an mich durch Eure Dienerin Lisette vor dem Grabmal der Familie LaRochelle auf dem alten Friedhof von Tournet.“
Natascha erhob sich spontan, lief zu ihm, ergriff seine kühlen Hände und küsste sie voller Dankbarkeit. Mit einer solch ungewohnt liebenswerten Geste hatte Marcel nicht gerechnet. Aber es freute ihn, das musste er zugeben. Vielleicht würde sein Dasein von Stunde an einen tieferen Sinn besitzen. Wieder trat das Bild seines einstigen Erschaffers vor seinem geistigen Auge und versetzte ihm im Herzen einen Stich. Wie sehr er Julien doch vermisste! Und wie stolz dieser jetzt auf ihn gewesen wäre!
Lisette betrat erneut den Raum, diesmal mit einem Bündel Kleider auf dem Arm.
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