Im Bann der Ringe (German Edition)
vergessen. Du kennst das vielleicht, wenn man sich nach dem Aufwachen noch erinnern kann, aber die Gedanken dann auch schnell wieder verschwinden?“
Zustimmend nickte er. „Sicher.“
„Genauso war es bei diesem Traum. Gleich nach dem Aufwachen war alles noch da, aber innerhalb von Minuten konnte ich mich an nichts mehr erinnern. In der nächsten Nacht träumte ich wieder. Aber diesmal konnte ich erkennen, was ich träumte. Richtig erkennen, meine ich. Und ich konnte mich auch nach dem Aufwachen noch lange daran erinnern.
Von da an konnte ich ihn sehen. Da stand ein junger Mann. Immer wieder derselbe. Und er sah mich an. Durchdringend. Bittend. Flehend vielleicht. Er sprach. Mit mir. Aber bevor ich hören konnte, was er mir sagen wollte, wachte ich auf. Jedes Mal. Nach jedem Traum. Immer an derselben Stelle.“
Cat sah ihn nicht an. Offensichtlich wollte sie sich nicht ablenken lassen, bevor die ganze Geschichte heraus war, und sprach ohne Punkt und Komma weiter: „Als die Träume nicht aufhörten, sondern kontinuierlich, jede Nacht wiederkamen, fing ich an, diesen Jungen zu zeichnen. Zuerst nur seine Augen. An sie konnte ich mich am stärksten erinnern. Diese dunklen, fast schwarzen Augen, die Pupille umkreist von goldenem Licht, das Ganze umrahmt von unwirklich langen, dunklen Wimpern. Es war verrückt, aber als ich diese Augen auf Papier brachte, da dachte ich –“ Cat brach ab. Sie schluchzte plötzlich auf und schlug sich die Hände vors Gesicht.
Ric sagte nichts. Er hätte gerne tröstend die Arme um sie gelegt und ihr versichert, dass sie es ihm nicht erzählen müsste, wenn sie nicht wollte. Aber damit lief er Gefahr, dass sie wirklich nicht weitersprach. Und das konnte er nicht zulassen. Er musste wissen, wie ihre Geschichte endete. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihm alles erzählte, während sie in seinem Arm lag, war gleich Null. Also schwieg er schweren Herzens und wartete.
Das Schluchzen wurde weniger und langsam beruhigte Cat sich wieder. Dann holte sie tief Luft und sprach weiter: „Dann, nach und nach, konnte ich auch den Rest auf Papier bringen. Die Träume verlängerten sich. Ich konnte jede Nacht ein Detail mehr erkennen. Schöne, geschwungenen Augenbrauen, eine gerade Nase, weichen Lippen, ein markantes Kinn. Und weißt du, was das Absurdeste an dieser ganzen Sache war?“ Sie lachte kurz gequält auf und drehte sich von ihm weg. Automatisch schüttelte er den Kopf. „Das Absurdeste daran war, dass ich mich vom ersten Moment an seltsamerweise zu diesem Jungen hingezogen fühlte, den ich da malte. Ich kannte ihn doch gar nicht, ich wusste nicht, was uns für ein Schicksal verband, aber ich fühlte mich zu ihm hingezogen. Vom ersten Moment an.“
Ihre Stimme brach jetzt endgültig. Ganz langsam drehte sie sich wieder zu ihm herum. Ihre Augen waren leicht gerötet vom Weinen und ihr Gesicht war blass. Eine einzelne Träne lief ihr wie vergessen über das Gesicht und Ric war versucht, sie ihr einfach fortzuwischen. Doch bevor er die Hand auch nur anheben konnte, um seinem Drang nachzugeben, senkte sie den Kopf und sprach weiter: „Und dann, in der Nacht, bevor wir uns hier das erste Mal begegneten, da war der Traum anders. Er war stärker. Intensiver.“ Sie stockte. Ric merkte ihr an, wie schwer es ihr fallen musste, ihm das alles zu erzählen und wartete geduldig darauf, dass sie weitersprach.
„Der Traum war eigentlich wie immer, und doch hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, als wäre ich ihm ganz nah. Zudem spürte ich, dass ich ihn für immer verlieren sollte. Und das machte mir Angst. Große Angst! Ich konnte das nicht zulassen! Und wie von selbst kamen Worte über meine Lippen, die ich noch nie im Leben gehört habe. Es war … eine fremde Sprache vielleicht oder … Es hörte sich an wie ein Zauber, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein Schutz war. Ich wollte ihn schützen, vor was auch immer, und ich hoffte, dadurch würden wir uns wiedersehen.“ Wie zur Bestätigung hob sie die Hand in seine Richtung, ohne ihn anzusehen. „Offensichtlich hatte ich recht.“
Obwohl Ric es die ganze Zeit geahnt hatte, traf ihn die absolute Gewissheit, dass er der Junge aus ihren Träumen war, wie ein Schlag ins Gesicht.
„Als ich danach aufwachte, war ich total verwirrt. Ich merkte, wie ich weinte. Außerdem brannten meine Beine. Und ob du es glaubst oder nicht – ich hatte Brandblasen an meinen Beinen und mein Bettlaken war voller Ruß.“
Jetzt wurde sogar Ric blass.
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