Im Bann der Träume
ihre Beine. Eine grüne See … Und der goldene Himmel … Eine Erinnerung in ihr verdichtete sich, eine Erinnerung, die sie irgendwie fürchtete, gegen die sie ankämpfte.
Sie war völlig entspannt und glücklich – falls diese Freiheit Glück genannt werden konnte. Ja, das war richtig! Das Leben sollte immer ein goldener, klarer Himmel, eine grüne See und ein edelsteinglitzernder Sand sein, Wärme und keine Erinnerung – nur hier und jetzt …
Außer den sanften Küssen der Wellen spürte sie keine Bewegung. Aber dann wollte Charis mehr als diese unbestimmte Zufriedenheit und setzte sich auf. Sie sah sich um und stellte fest, daß sie sich von roten, steil aufragenden Klippen eingeschlossen fand, und kein Pfad schien hinauszuführen. Aber das störte sie nicht. Müßig ließ sie den glitzernden Sand durch ihre Finger rinnen und blinzelte, wenn sein Glitzern sie blendete. Das Wasser wusch nun um ihre Knie, aber sie hatte kein Verlangen, sich dieser warmen Zärtlichkeit zu entziehen.
Und dann war mit einem Schlag die zufriedene Müdigkeit verschwunden. Sie hatte keine Angst – nur hellwach war sie. Wessen war sie sich bewußt? Einer Intelligenz, einer anderen Wesenheit? Sie erhob sich aus dem Sand, der unter ihrem Körper zu einer schützenden Mulde geworden war und stand auf. Nun besah sie sich auch die sie umschließenden Felsen. Aber es gab nichts zu sehen, und sie stand lebendig in dieser Tasche aus Felsen und Sand.
Charis sah auf die See hinaus. Dort, ja, genau dort bemerkte sie, wie das Wasser sich kräuselte. Etwas stieg daraus hervor, kam auf sie zu. Und sie …
Charis holte keuchend Luft. Sie lag auf dem Rücken, und es war kein goldener Tag mehr, sondern blasse Nacht umgab sie. Rechts von ihr war die Biegung der Kuppelwand. Sie war kaum zu erkennen, aber ihre tastende Hand sagte ihr, daß diese Linie solide Wirklichkeit war. Aber auch der Sand zwischen ihren Fingern war Wirklichkeit gewesen, die sanften Wellen, die ihren Körper umspielten, die Wärme und die Sonne, die ihrer Haut geschmeichelt hatten.
Ein Traum – lebendiger und wirklichkeitsträchtiger als alle Träume, die sie je vorher geträumt hatte. Aber Träume waren doch nur aus der Wirklichkeit gebrochene Scherben wie die, die Sheeha unter ihren Stiefeln zermalmt hatte. Aber das hier waren keine Scherben gewesen, keine Bruchstücke der Wirklichkeit, und keinen Mißklang hatte es gegeben. Dieses Bewußtsein, als es endete; dieser Glaube, daß etwas aus der See aufstieg, um ihr zu begegnen?
Und was war es gewesen, das in ihren Traum eingebrochen war, um sie aufzuwecken? Weshalb diese momentane Angst, sie ertrinke – nicht in der See, die sie bewillkommt und zärtlich gestreichelt hatte, sondern in etwas, das nun zwischen der Wirklichkeit dieser See und ihrer Zelle lag?
Charis rollte sich vom Feldbett und tappte zum Klappsitz. Sie war erregt, denn sie hatte das sichere Gefühl, auf sie warte eine große Freude. Wenn sie nun zu schlafen versuchte, würde sie dann zu jener See, zu jenem Sand, zu jenem Platz in Zeit und Raum zurückkehren, wo etwas – jemand – auf sie wartete?
Aber das Gefühl des Wohlbehagens, das sie aus ihrem Traum mitgebracht hatte – falls es ein Traum gewesen war –, versickerte nun allmählich. Statt dessen nahmen Unbehagen und Unruhe von ihr Besitz. Charis lauschte in sich hinein, nicht nur mit ihren körperlichen Ohren, sondern mit jeder Faser ihres Seins.
Nichts war von außen zu hören. Sie wußte zwar nicht weshalb, aber sie ging zur Tür. Von der Lichtleiste unter dem Dach der Kuppel schimmerte noch gedämpftes, fast dämmriges Licht, das genügte, sie ihren Weg finden zu lassen. Charis preßte je eine Hand auf die beiden Türhälften neben dem Schlitz. Die Tür ging auf, und sie sah in den Korridor hinaus.
Diesmal standen die Türen alle offen. Wieder lauschte sie und wagte kaum zu atmen. Was erwartete sie zu hören? Ein Stimmengemurmel? Das Schnarchen müder Schläfer? Nichts. Nein, absolut nichts.
Noch kurz vorher war ihre Zelle ihr als Hort der Sicherheit erschienen, die einzige Sicherheit, die sie auf diesem Planeten zu finden vermochte. Jetzt war sie dessen nicht mehr sicher. Sie konnte weder die Seltsamkeit der sie einhüllenden Atmosphäre mit Worten beschreiben, noch das wachsende Unbehagen, das sie nun zum Handeln trieb, vor sich selbst analysieren.
Charis ging der Halle entgegen. Ihre nackten Füße huschten lautlos über den eiskalten Boden. Die erste Tür stand weit genug offen, und sie
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