Im Bann der Träume
abänderte …
»Schön, schön …«
Sie drehte sich um. Dieses Flüstern kam so überraschend, daß Charis entsetzlich erschrak. Die Gestalt im Türspalt zwängte sich durch und schob die Tür hinter sich zu. Sie sah Charis an, und ihr Mund verzog sich zu einer entsetzlichen, furchterregenden Karikatur eines Lächelns.
4
Die Frau war von gleicher Größe wie Charis, so daß sie sich Auge in Auge gegenüberstanden. Charis hielt mit beiden Händen den Stoff fest, und die andere Frau lachte noch immer. Dieses Lachen war schrecklicher als ein Schrei. Sie mußte einmal ziemlich dick gewesen sein, denn ihre Haut war schlaff und voller Falten. Das schwarze Haar lag in fettigen, verfilzten Strähnen um ihren faltigen Hals und die gekrümmten Schultern.
»Schön.« Mit Krallenfingern griff sie nach dem Stoff, und Charis trat unwillkürlich einen Schritt zurück; doch die Krallen hatten sich schon im Material verfangen und zogen heftig daran.
Die Kleidung der Fremden bestand hauptsächlich aus bunten Flicken und knalligen Farben. Zuoberst trug sie ein Kleid ähnlich dem, das Charis bekommen hatte, aber es war schmutzig und unbeholfen ausgebessert; darunter hatte sie eine Tunika von schreiender Farbe. Dazu trug sie die schweren, metallsohligen Stiefel eines Raumfahrers.
»Wer bist du?« fragte Charis. Seltsam, etwas in ihrer Stimme schien an einen Rest von Vernunft in der anderen zu appellieren.
»Sheeha«, antwortete sie wie ein Kind. »Hübsch.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Stoff zu. »Haben.« Sie zerrte daran und entriß es Charis schließlich. »Nicht den Schlangen geben, nicht den Schlangen!« Ihre Lippen verzerrten sich zu einer häßlichen Grimasse, und sie zog sich wieder zur Tür zurück. Mit ihren Krallenfingern zog und zerrte sie an dem Stoffstück herum.
»Die Schlangen dürfen das nicht haben!« rief sie. »Auch nicht, wenn sie träumen. Nein, auch dann nicht …«
Charis hatte Angst, sich zu bewegen. Sheeha hatte die Schwelle zu einem Land überschritten, für das es keine Karten gab …
»Sie haben geträumt«, krächzte Sheeha vorwurfsvoll. »So oft haben sie geträumt und nach Sheeha gerufen. Aber Sheeha ging nicht, nicht zu den Schlangen, nein, nein!« Ihre Haarsträhnen tanzten um das welke, schlaffe Gesicht. »Nein, sie ist niemals gegangen. Du darfst auch nicht gehen. Verstehst du? Geh niemals zu den Schlangen!«
Sie stopfte das zusammengeknüllte Zeug in eine Tasche ihres Kleides. Nun sah sie das blaue Kleid auf dem Feldbett, und sie griff an Charis vorbei auch nach diesem. »Wie schön! Nicht für die Schlangen, nein!«
Charis drückte ihr auch dieses Kleid in die Hand. »Für Sheeha, nicht für die Schlangen«, stimmte sie zu und versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.
Wieder nickte die Frau. Als sie aber das Kleid nahm, griff sie mit der anderen Hand nach Charis und schloß ihre Krallenfinger um des Mädchens Handgelenk. Charis hatte zu viel Angst, sich zu wehren, aber der Griff der heißen, trockenen Hand sandte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.
»Komm!« befahl Sheeha. »Die Schlangen bekommen nichts. Davon werden wir uns überzeugen.« Sie zerrte an Charis’ Hand. Die Tür öffnete sich, und Sheeha zog das Mädchen auf den Korridor hinaus. Durfte sie um Hilfe rufen? Charis wagte es kaum, denn der Klammergriff um ihr Handgelenk war eine Warnung, Sheehas Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Soweit Charis feststellen konnte, war die Handelsniederlassung verlassen. Außer ihnen beiden war niemand da. Die Türen zur Halle waren geschlossen, aber die zum Lager stand offen. Dort brannte auch Licht. Es mußte Abend sein. Wollte Sheeha in die Nacht hinaus? Charis, die sich der zerklüfteten Umgebung erinnerte, hoffte, dort fliehen zu können, wenn es ihr gelang, sich dem eisernen Griff der Wahnsinnigen zu entwinden.
Aber Sheeha schien kein anderes Ziel zu haben als den Außenraum, in dem die Handelswaren auf den Regalen lagen. Ihre Augen hingen hungrig an dem Überfluß. Erst jetzt ließ sie Charis’ Handgelenk los.
»Nicht für die Schlangen!« wimmerte sie. Sie war den Korridor entlanggeschlurft, als sei ihr das Gewicht der Raumstiefel hinderlich; aber jetzt tat sie einen Satz auf das nächste Regal zu, in dem Reihen von Glasflaschen aufgereiht standen und fegte sie mit einer Handbewegung herunter, so daß sie auf dem Boden zerschellten. Ein Durcheinander von Gerüchen stieg aus den Scherben auf. Aber Sheeha war mit dem Ergebnis ihrer
Weitere Kostenlose Bücher