Im Bann der Träume
Tätigkeit noch nicht zufrieden. Sie zertrampelte die Scherben zu kleinen Splittern, und ihr Schrei »nicht für die Schlangen!« wurde zu einem triumphierenden Gesang.
»Sheeha!«
Mit den Flaschen war sie nun fertig und griff eben nach den Stoffrollen, die sie mit überraschender Kraft herauszerrte. Aber ihr erster Angriff hatte den Eigentümer der Ware herangeholt. Charis wurde brüsk zur Seite geschoben, als Jagan aus dem Korridor herbeistürzte und sich auf die tobende Frau warf. Seine Arme schlossen sich eisern um ihren Körper, obwohl sie strampelte, um sich schlug und ihn zu beißen versuchte. Ihr Gesicht glich dem eines wütenden Wolfes, und sie schrie mit hoher, kreischender Stimme, die keine Ähnlichkeit mehr mit der eines Menschen hatte.
Zwei weitere Männer rannten herbei, einer von draußen und der andere – es war jener, der Charis das Essen gebracht hatte – von irgendwoher innerhalb der Kuppel. Aber erst zu dritt wurden sie der tobenden Sheeha Herr.
Sie kreischte, als man sie mit einer Rolle Stoff umwickelte und sie zu einem bewegungsunfähigen Paket machte. »Die Träume!« schrie sie, »nicht die Träume! Nicht die Schlangen!« Allmählich ging ihr Kreischen in ein flehendes Wimmern über.
Erstaunt beobachtete Charis Jagans Mienenspiel. Beruhigend legte er die Hand auf Sheehas Schulter, als er sie umdrehte, damit sie zur Außentür sehen konnte. »Sie geht zum Schiff«, sagte er, »vielleicht dort …« Der Satz blieb unvollendet in der Luft hängen. Jagan ging in die Nacht hinaus.
Die scharfen Gerüche aus den zerbrochenen Parfümflaschen machten Charis niesen. Aus dem zweiten Regal, das Sheeha in Angriff genommen hatte, hingen lange Stoffstreifen herunter. Mechanisch ging Charis hinüber, um das Zeug aus dem Durcheinander auf dem Boden zu retten und vermied sorgfältig den Scherbenhaufen, den Sheehas Schuhe noch nicht ganz zertrampelt hatte.
»Du gehst jetzt besser wieder zurück«, sagte der Mann am Tisch.
Charis gehorchte, denn sie war froh, dieses Chaos hinter sich lassen zu können. Zitternd ließ sie sich auf ihr Feldbett sinken und versuchte zu verstehen, was sich vor ihren Augen abgespielt hatte. Jagan hatte gesagt, er brauche eine Frau, um mit den Eingeborenen Verbindung aufzunehmen. Bevor Charis gekommen war, mußte es schon eine solche Frau hier gegeben haben – Sheeha. Und diese Sheeha schien dem Kapitän irgendwie mehr zu bedeuten als ein Werkzeug, das ihm Charis zu sein schien. Er hatte sie mit unvermuteter Zartheit behandelt.
Die Schlangen? Die Träume? Was war der Grund zu Sheehas verworrenen Reden und Taten? Charis’ erster Eindruck auf Warlock war der, daß dies keine Welt sei, die ihre Rasse willkommen heißen würde; war das die Wahrheit, oder nur eine Feststellung ihres Unterbewußtseins, eine gefühlsmäßige Reaktion auf die ungewöhnlichen Farben der Landschaft? Was ging hier vor?
Natürlich konnte sie hinausgehen und eine Erklärung fordern. Aber Charis wurde sich dessen bewußt, daß ihr Wille diesmal nicht zwingend genug war, um sie diese Schwelle überschreiten zu lassen. In dieser winzigen Zelle fühlte sie sich einigermaßen sicher. Sie konnte jeden Winkel überblicken, und sie war allein.
Der Leuchtstreifen an der Kuppelwand wurde schwächer; Charis schloß daraus, daß man Energie für die Nacht sparte. Sie ringelte sich auf dem Feldbett zusammen. Seltsam! Warum war sie plötzlich ganz und gar nicht mehr schläfrig? Ein Funke Angst glomm in ihr auf, als sie das erkannte. Und dann …
Helles Licht war plötzlich wieder um sie. Charis hatte die Augen geschlossen, aber sie spürte dieses Licht gleichsam. Licht und Wärme. Dann kam der Wunsch zu wissen, von woher man sie erreicht hatte. Sie öffnete die Augen und sah in einen goldenstrahlenden Himmel hinauf. Ein goldener Himmel? Wo hatte sie schon einen goldenen Himmel gesehen? Wann war das gewesen? Ein Teil ihres Selbst schob diese Erinnerung weg. Es war schön, unter diesem goldenen Himmel zu liegen. Seit langer, langer Zeit hatte sie nicht mehr so geruht, so sorglos, so gelöst.
Etwas kitzelte sie an den Zehen, an den Knöcheln, an den Waden. Charis bewegte sich und richtete sich auf den Ellbogen auf. Sie lag im warmen, grauen Sand, in dem winzige rote, blaue, gelbe und grüne Punkte glitzerten. Sie war nackt; aber sie brauchte keine Kleider. Die angenehme Wärme war wie eine Decke, die sie einhüllte. Und sie lag unmittelbar am Rand einer grünen See, und die Wellchen umspülten ihre Knöchel und
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