Im Bann der Versuchung
hinaus, „Er steht immer noch da."
„Bitte, Großmutter, geh nicht nach draußen. Er sieht dich doch."
„Was ist denn dabei, wenn er sieht, wie ich die Hühner füttere?" meinte Thora und trat ins Freie.
„Der Kelpie ist zurückgekommen. Habe ich es nicht immer gesagt, Meg?" Norries Mutter Elga lachte leise in sich hinein. Sie saß am Herd, hielt Anna, die kleine Tochter von Fergus, auf dem Schoß und fütterte das Kind mit Haferbrei.
Margaret warf ihrer Urgroßmutter einen gereizten Blick zu und ging zur Tür, um sie zu schließen. Dougal Stewart stand immer noch oberhalb von Camus nan Fraoch und schaute hinaus aufs Meer. Die aufgehende Sonne hatte Meer und Insel in ein rosa und blaugraues Licht getaucht. Die Szene erinnerte sie an einen anderen Sonnenaufgang, an einen ähnlich pastellfarbenen Himmel. Damals hatte Stewart auf dem Felsen gestanden und darauf gewartet, dass ihn das Boot. abholte. Sieben Jahre lang hatte sie dieses Geheimnis gehütet. Nun, da sie noch ganz verwirrt von seinem Kuss war, musste sie sich nicht mehr fragen, ob er der Mann war, den sie damals auf Sgeir Caran getroffen hatte. Sie wusste es.
Einen Moment lang stand Margaret traurig da. Die Nacht, in der sie Iain empfangen hatte, war voller Furcht und zugleich voller Wonne und wilder Leidenschaft gewesen. In den Armen dieses Mannes hatte sie erfahren dürfen, was es hieß, glücklich zu sein. Sie hatte es genossen, wie sich sein kräftiger Körper gegen den ihren presste. Mit jeder Faser ihres Seins verlangte sie wieder nach ihm.
Sie schlug die Hände vors Gesicht. Jahrelang hatte die Erinnerung an jene Nacht geschmerzt, und sie hatte überlegt, was sie wohl tun würde, wenn sie ihm jemals wieder begegnen oder seinen Namen erfahren würde. Und nun erlag sie wieder demselben unerklärlichen Zauber, mit dem er sie auch damals angezogen hatte. Darüber war sie wütend.
Noch einmal sollte das nicht geschehen. Auf ihre Kosten hatte Dougal Stewart wahrscheinlich eine fröhliche Wette erfüllt, aber alte, geheime Mythen entehrt.
„Meg, die Haferkuchen", rief Mutter Elga, eine kleine, runzelige Frau, gebeugt wie ein Schlehdornzweig.
Margaret drehte sich um. „Oje!" Rauch stieg aus der Gusseisenpfanne über dem offenen Feuer. Schnell lief sie zum Herd und kippte den verbrannten Pfannkuchen auf einen Teller.
„Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders", sagte Elga. Sie ließ das flachsköpfige Kind auf ihrem Schoß nicht aus den Augen, während sie ihm zu ersten eigenständigen Essversuchen den Löffel in die Hand gab. „Du denkst an den Kelpie."
„Überhaupt nicht." Margaret legte Schinken in die Pfanne und briet ihn über dem offenen Herdfeuer.
„Er ist zurückgekommen - getarnt als Leuchtturmmann."
„Er war nie der Each-Uisge, Mutter Elga. Er war immer der Leuchtturmmann. "
Elga schnaufte unwillig. „Ach, das denkst du nur."
Margaret biss sich seufzend auf' die Lippen. Der Schinken spritzte, weil sie ihn zu schnell gewendet hatte.
„ Uisht", zischte Elga verächtlich. „Du hast verlernt, wie man kocht. Eine feine, verwöhnte Lady bist du geworden in deinem riesigen Schloss."
„Ich habe es nicht verlernt. Aber in Edinburgh koche ich nicht und verrichte auch sonst keine Hausarbeiten." Sie lächelte ihre Urgroßmutter an. „Das tue ich nur hier - in meinen Ferien! "
Aber Mutter Elga war nicht zum Spaßen zu Mute. „Den Each-Uisge gibt es wirklich, auch wenn du es nicht glaubst. Du bist ihm doch begegnet und seinem Zauber erlegen."
„Ich bin keinem Zauber erlegen, und schon gar nicht seinem", widersprach Margaret heftig, während sie die krossen Schinkenscheiben wendete. Bei dem Gedanken an seinen letzten, heißen Kuss wurde ihr ganz schwindelig.
Die Tür wurde geöffnet, und Thora kam schnell herein. Der weite, faltige Rock und eine Schürze verdeckten die mit dem Alter breiter gewordenen Hüften. Die stets gütigen Gesichtszüge ihrer Großmutter wirkten wie immer leicht verängstigt. Thora ging zum Herd, nahm den dampfenden Kessel vom Feuer und goss heißes Wasser in die Teekanne. „Er steht immer noch auf der Machair und schaut aufs Meer."
„Er sehnt sich nach seinem Heim unter den Wellen", sagte Elga. „Ein Kelpie mag nicht gern lange seine menschliche Verkleidung tragen." Sie sah Margaret durchdringend an. „Er will zurück ins Wasser. Er will dich mitnehmen, deshalb ist er hier. Ganz bestimmt. Ich weiß es."
„Lächerlich. Das ist nur ein Mann. Ein störrischer Mann, der ohne Einladung auf unsere Insel
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