Im Bann der Wasserfee
Mistkerl! Wie konntest du nur? Du bist mein Halbbruder!«
»Beruhige dich, Dahut! Malgven war nicht meine Mutter. Meine Mutter Sidsele starb bereits zwei Jahre, bevor mein Vater Malgven kennenlernte.«
»Ist dein Vater auch der meine?« Sie musste die Frage stellen, auch wenn sie allergrößte Angst vor der Antwort hatte.
»Woher soll ich das wissen? Ich war bei der Zeugung wohl kaum zugegen.«
»Wie konntest du nur?« Benommen schüttelte sie den Kopf. Tränen traten in ihre Augen. »Wie konntest du dann mit mir schlafen, wenn du mein Bruder bist?«
»Sieh, du bist blond, Malgven war rothaarig, Gradlon war blond, aber ich habe dunkelbraunes Haar. Daher glaube ich nicht, dass wir dieselben Väter haben. Wer weiß, mit wem Malgven es sonst noch getrieben hat.«
Sie spürte Wut in sich aufsteigen. »Du bist nicht besser als sie!«
»Dahut, es tut mir leid. Mein Vater konnte im Alter kaum noch eine Frau beglücken. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass er dich gezeugt hat.«
»So, und woher willst du das wissen, ob dein Vater noch zeugen konnte?«
Er grinste. »Nun, Kinder wissen oft mehr, als ihre Eltern ahnen. Ich habe mit einem Nachbarsjungen oft nachts vor ihrem Schlafzimmer gestanden, die Zeit gezählt und Wetten abgeschlossen, wie lange er diesmal durchhält – sofern er überhaupt einen hochkriegt.«
»Ihr Männer seid widerlich.«
»Ich weiß, mein Schatz, ich weiß. Hast du den Schlüssel?«
»Bist du dir wirklich sicher, dass du keine Überschwemmung der Stadt auslöst, wenn du den Deich öffnest?« Dahut hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Offenbar hatte sich Gradlons panische Angst vor dem Meer auf sie übertragen.
»Natürlich löse ich eine Überschwemmung damit aus, doch sie wird sich in Grenzen halten. Vertraust du mir etwa nicht?«
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wie könnte ich? Du hast so viel vor mir geheim gehalten? Wer sagt mir, dass du jetzt nicht schon wieder irgendwelche verborgenen Ziele verfolgst?«
»Bedeute ich dir etwas?«
»Natürlich bedeutest du mir etwas.«
»Dann vertraue mir. Ich will nur das Beste.«
Dahut wusste nicht mehr, was sie glauben sollte. Ihr Vater hatte ihr jahrelang vorenthalten, dass es jemanden gab, der ihm aus Rache nach dem Leben trachtete, weil er dessen Vater ermordet hat. Ihre Mutter hatte ihren Stiefsohn und Ehemann töten wollen. Es war zu viel. Es war einfach zu viel für sie.
»Du willst also meinen Vater töten.« Das erklärte einiges an seinem merkwürdigen Verhalten in der Vergangenheit.
»Nicht mehr. Wie du weißt, würde ich lieber mit dir fliehen.«
»Aber ich habe gehört, die Rache der Nordmänner wäre fürchterlich. Ich glaube nicht, dass du dem so einfach abschwören würdest.«
Ragnar lächelte hintergründig. »Das ist sie auch, Dahut. Das ist sie auch, aber ich habe meine eigenen Prioritäten. Und am wichtigsten bist du für mich!« Ragnar hielt ihr die Hand mit der Innenseite nach oben entgegen. »Vertrau mir.«
Als sie ihn ansah, kam ihr ein Gedanke: Er wollte sich an ihrem Vater rächen, indem er ihm die Tochter wegnahm, im Glauben, dieser würde sie innig lieben.
Welchem Irrtum Ragnar damit erlag! Sie wollte ihm sagen, dass sie für ihren Vater bedeutungslos war, doch hielt dann inne. Dies würde sie nicht tun und sich damit die vielleicht einmalige Gelegenheit zerstören, aus der Stadt zu entkommen. Bereits in wenigen Wochen konnte sie mit Brioc verheiratet sein. Der Gedanke daran erfüllte sie mit Abscheu.
Gradlon würde indes nach Huelgoat reiten zu Kaira und Salomon, dem Erben seines Königreichs, seinem wahren, anerkannten Sohn. Sie, Dahut, war für ihn nicht von Bedeutung. Sie war nur eine Sünde aus seiner Vergangenheit, die ungewollte Bastard-Tochter. Es tat so weh.
Sie hatte nur Ragnar. Doch war das so schlimm? Sie betrachtete ihn. Er war der Traum ihrer feuchten Nächte – könnte sie sich nur gewiss sein, nicht denselben Vater zu haben wie er. Gewiss, ihr Aussehen sprach dagegen, doch konnte sie nicht sicher sein. Zudem wusste sie nicht, woran sie bei ihm war. Bedeutete sie ihm etwas oder würde er sie in Gwynedd zurücklassen, sobald er seinen Teil des Handels erfüllt hatte?
Die Nächte mit ihm hatten ihr viel bedeutet, doch war sie nicht so naiv zu denken, bei Männern wäre das genauso. Für diese war es häufig nur ein rein körperlicher Akt, bei dem keinerlei Gefühle verwickelt waren. So hatte sie dies mit Jacut erlebt, was eine ernüchternde Erfahrung gewesen war.
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